Die Geheimnisse der Toten
vergeht das Grinsen.
« Unser Sohn!», schreit sie. «Meine Jungen sind nicht weniger deine Söhne als Crispus.»
«Aber Crispus löst sich nicht auf, wenn es regnet.»
Fausta starrt ihm wütend nach. Seit wir Konstantinopel verlassen haben, ist sie in gereizter Stimmung und nimmt an allem Anstoß. Die Betten sind zu hart, die Sklaven zu frech, und der Wein ist zu sauer.
Der Grund liegt auf der Hand. Wenn Konstantin Crispus in Rom zu seinem Nachfolger ernennt, gehen ihre eigenen Söhne leer aus. Seit zwanzig Jahren ist sie mit dem Mann vermählt, der ihren Vater und ihren Bruder getötet hat, und hofft ebenso lange, eines Tages die Mutter einer Dynastie zu sein. Sie ist fünfunddreißig und hat fünf Kinder zur Welt gebracht. Vier Ochsen ziehen den Wagen, der ihre kosmetischen Salben, Öle und Pulver trägt. Die aber können nicht die Last kaschieren, an der sie zu schleppen hat, oder die Spuren, die sich auf ihrem Gesicht bemerkbar machen. Sie und Konstantin schlafen fast nie mehr im selben Bett. Manchmal ergreift mich Mitleid, und ich denke: Sie hat alles verloren.
Fausta steht noch an der Tür. Ich kann mich nicht diskret verziehen. Sie hört meine Schritte und fährt mich an: «Getreuer Jagdhund, der du bist! Lauf und lecke ihm den Arsch.»
Ich erwache mitten in der Nacht und weiß nicht, wo ich bin. Ich habe während der Reise in so vielen Betten gelegen, dass mir der ständige Wechsel fast zur Routine geworden ist. Vor meinen Augen dreht sich alles, aber schließlich finde ich mich zurecht. Die Tür, das Fenster, der Dolch unter meinem Kissen. Er teilt mit mir das Bett seit meinem neunten Lebensjahr, beständiger als jede Liebhaberin.
Und ein Sklave steht über mir und zupft an meinem Ärmel. Ich habe ihn nicht kommen hören. Palastsklaven bewegen sich wie Katzen im Dunkeln. Oder vielleicht hat auch mein Gehör nachgelassen.
«Was ist?»
«Der Augustus.»
Ich bin im Nu aus dem Bett, werfe meinen alten Soldatenmantel über und eile dem Sklaven nach. Im Korridor brennen alle Lampen. Männer der Schola bewachen jede Tür.
«Was ist passiert?»
Der Sklave zuckt mit den Schultern. «Keine Ahnung, aber es ist heftig.»
Konstantins Gemächer sind nicht weit entfernt, aber nicht dorthin führt mich der Sklave. Wir gehen die Treppe nach unten, wo Faustas Kinder schlafen. Die Tür steht offen. Die Wärter davor haben ihre Schwerter blankgezogen. Obwohl ich ungezählte Schlachten geschlagen habe, fange ich an zu zittern. Geht es hier um mich?
Mit einem Blick sehe ich, dass es viel schlimmer ist. Konstantin, Crispus und Fausta sind zugegen, zusammen mit Faustas drei Söhnen, einem Dutzend Wachen und mehreren Sklaven. Claudius, der älteste Sohn, hat eine Decke um die Schultern gewickelt. Sie ist vor der Brust nicht geschlossen und lässt erkennen, dass Blut vom Hals in die Tunika sickert. Es scheint, als sei ihm gerade, kurz bevor ich eingetreten bin, die Kehle aufgeschlitzt worden, was er selbst noch gar nicht realisiert hat. Er verharrt aufrecht da, ungeschützt und leichenblass. Fausta steht neben ihm, bereit, ihn aufzufangen, falls er stürzen sollte. Auch ihr Schlafgewand ist voller Blut; es muss das ihres Sohnes sein. Die beiden anderen Jungen kauern hinter ihr, in Betttücher eingewickelt. Konstantin auf der anderen Seite der Kammer wird von zwei Wachen flankiert, während Crispus zwischen den beiden Gruppen steht. Seine Hände sind blutverschmiert.
Konstantin sieht mich an. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, wie ernst die Lage ist.
«Kann ich mich auf dich verlassen?»
«Immer.»
«Sieh dich in Crispus’ Kammer um und bring mir alles, was dort nicht hingehört.»
Faustas Gesicht ist wie versteinert, aber ihre dunklen Augen funkeln voller Leidenschaft. «Woher willst du wissen, dass Valerius nicht teilhat an diesem Komplott?»
«Ich vertraue ihm.»
«Ich nicht. Schick Junius mit ihm.»
Junius ist ein blasierter, großspuriger Höfling, der nur vor dem Spiegel lächelt und zu Faustas Favoritenkreis gehört. Er folgt mir nach oben in Crispus’ Kammer. Ich weiß immer noch nicht, was geschehen ist, mache mich aber auf das Schlimmste gefasst. Ein verwundeter Junge und ein Mann mit blutigen Händen. Wir sind nicht losgeschickt worden, um Beweise für Crispus’ Unschuld zu finden.
Die Kammer ist aufgeräumt und spärlich eingerichtet. Die Durchsuchung wird nicht lange dauern. Das Bett wurde benutzt, die Laken sind aufgedeckt. Die am Vortag getragenen Kleider liegen zusammengefaltet im Schrank,
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