Die Geheimnisse der Toten
die für morgen griffbereit auf einer Truhe. Auf einem Pult stapeln sich Papiere. Crispus scheint vor dem Schlafengehen noch gearbeitet zu haben. Er ist sehr fleißig.
Junius macht sich sofort über die Papiere her. Ich gehe auf die Knie und schaue unters Bett. Das Lampenlicht reicht nicht aus. Ich strecke den Arm aus und ertaste ein Paar Stiefel, Lumpen, die aus der Matratze gefallen sind, und einen schlanken, länglichen Gegenstand, der sich wie kaltes Blei anfühlt.
Junius sieht, was ich da habe, und kommt auf mich zu. «Gib her!» Ich wehre ihn ab wie ein Hund, der seinen Knochen verteidigt, und erinnere mich an Faustas Worte vom Tag zuvor. Getreuer Jagdhund, der du bist. So etwas passiert, wenn im Palast der Schrecken regiert.
Ich halte ein Bündel getriebenes Bleiblatt in der Hand, das wie eine Schriftrolle aufgewickelt ist und mit einer goldenen Fibel zusammengehalten wird. Ich weiß sofort, worum es sich handelt, und erschauere.
Vor Entsetzen gerate ich ins Wanken. Junius reißt mir die Bleirolle aus der Hand, öffnet die Fibel und fängt neugierig an zu lesen. Er leckt sich die Lippen.
«Lass zuerst den Augustus einen Blick darauf werfen.» Aber er denkt anscheinend schon an seine Beförderung und kann seine Vorfreude nicht verhehlen. Am liebsten würde ich ihm den Hals brechen, doch das wäre ein Fehler. Überleben werde ich jetzt nur, wenn ich mich zurückhalte.
Unten in der Schlafkammer der Jungen warten alle auf unsere Rückkehr. Junius reicht Konstantin die Bleirolle, der davor zurückweicht wie vor einer Schlange. Er winkt einen Sklaven zu sich, der sie halten soll, während er liest.
«Das lag unterm Bett des Caesaren», erklärt Junius.
«Unter meinem Bett stehen nur meine Stiefel.» Crispus starrt mich hilfesuchend an. Ich weiß nichts zu sagen, frage aber, weil sich das Schweigen in die Länge zieht: «Was ist eigentlich los?»
Fausta antwortet. «Ich war gerade hier, um nach meinen Kindern zu sehen, als er da» – sie zeigt auf Crispus – «plötzlich zur Tür hereinplatzte, mit einem Messer in der Hand und außer sich. Als er mich sah, sagte er, das Heer würde meutern und meinem Gatten nach dem Leben trachten. Wenn ich mich nicht auf seine Seite schlüge, wären auch ich und meine Kinder verloren.»
Die Hälfte der Männer im Raum – diejenigen, die ihre Position Fausta verdanken – ist entsetzt und rufen empört durcheinander. Die andere Hälfte bleibt ruhig.
«Das ist gelogen», sagt Crispus. Er sieht seinen Vater an, doch Konstantin weicht seinem Blick aus. So wie ich. Ich betrachte seine bloßen Füße und frage mich, welcher Verschwörer, der nach der Krone greift, seine Stiefel unterm Bett stehen lassen würde.
«Natürlich war mir klar, dass er lügt», setzt Fausta mit harter Stimme nach. «Er hat nicht damit gerechnet, mich hier vorzufinden. Er wollte seine Brüder umbringen, um keine Rivalen zu haben, wenn er auch den Augustus getötet haben würde. Und das sagte ich ihm ins Gesicht, worauf er wütend über Claudius hergefallen ist und ihn mit dem Messer attackiert hat. Aber zum Glück waren die Wachen rechtzeitig zur Stelle.»
Crispus schüttelt den gesenkten Kopf, als steckte er in einem schweren Joch. «Sie kam in meine Kammer und sagte, mein Bruder Claudius habe sich verletzt. Ich folgte ihr sofort nach unten und sah, dass sein Ohr blutete, und ehe ich wusste, wie mir geschah, hatten mich die Wachen überwältigt und zu Boden geworfen.»
Er schaut in die Runde und fleht uns an, ihm zu glauben. Es sind inzwischen über zwanzig Männer in der Kammer, doch es gibt keinen, der ihm in die Augen schaut. Keinen außer Fausta, die ihn mit ihren Blicken durchbohrt.
Konstantin wendet sich an mich. «Hast du gelesen, was hier steht?»
Der Sklave hält mir die Bleirolle vor die Augen.
Große Göttin Nemesis, ich, Crispus Caesar, verfluche meinen Vater Konstantin Augustus und überantworte ihn Deiner Gewalt. Treibe ihn in den Tod, gewähre ihm weder Gesundheit noch Schlaf oder Glück, bis mir das Reich untersteht.
Es ist eine Verwünschung, wie sie verschmähte Liebhaber oder beraubte Krämer auf kleine Tafeln schreiben, die sie in den Brunnen werfen, um die Götter gegen ihre Feinde aufzubringen. Junius zeigt Konstantin die Fibel, die auf der Rolle steckte. Sie ist aus Gold und hat eine Schließe in Form eines angreifenden Löwen. Ich habe sie schon oft an der Schulter von Konstantins Umhang glänzen sehen.
«Die gehört dir», sagt Fausta. «Er muss sie dir gestohlen
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