Die Geheimnisse der Toten
wie es scheint. Ein Sklave bringt uns Wein. Ich nehme einen Becher entgegen, trinke aber nicht.
«Konstantin bat mich, zu dir zu gehen.» So oft habe ich diesen Satz nun schon gesprochen, dass ich fast selbst daran glaube. Aber Porfyrius ist alles andere als naiv.
«Wie ich gehört habe, ist der Augustus …» Er lässt eine kleine Pause entstehen. «Krank.»
«Als ich ihn das letzte Mal sah, war er guter Dinge.» Das ist nicht gelogen. «Aber – er ist ein alter Mann und sorgt sich um die Zukunft des Reiches.»
«Sorgt er sich nicht viel mehr um mögliche Störenfriede, die er auf eine schwarze Liste gesetzt hat?» Er hebt die Hand, um mich an einer Entgegnung zu hindern, und nennt ein halbes Dutzend Namen von Männern, die ich im Laufe der vergangenen zwei Wochen aufgesucht habe.
«Wenn du weißt, wo ich überall gewesen bin, wirst du auch wissen, was ich gesagt habe.»
«Wahrscheinlich.»
«Die Zeiten verlangen nach Geschlossenheit. Konstantins Nachfolge ist auf ein friedliches, vereintes Reich angewiesen. Wer den oder die neuen Kaiser unterstützt, hat nichts zu befürchten.»
Er mustert mich mit verschlagenem Blick. «Willst du mir ein Angebot machen?»
«Ich übermittle nur eine Nachricht.» Meine geöffneten Hände sollen Unschuld signalisieren – oder Ohnmacht. Keine Garantien.
«Nun, du hast sie übermittelt.» Er nimmt ein Schreibrohr vom Pult und lässt es zwischen den Fingern rotieren. «Du hast wohl vergessen, dass ich zehn Jahre im Exil dafür büßen musste, ein für Konstantin anstößiges Gedicht geschrieben zu haben. Verbannt werden will ich nie wieder.»
Er legt das Schreibrohr ab. Seine Hand zittert und schlägt gegen eine Messinglampe, die zur Beschwerung auf einem Schriftstück steht. Die Lampe fällt zu Boden. Das Schriftstück rollt sich auf und enthüllt eine Zeichnung, die darunterliegt. Ich schaue näher hin.
Es ist der Ziergiebel eines Tempels oder Mausoleums, ein flaches Dreieck mit einem Kranz in der Mitte. Im Innern des Kranzes ist ein Monogramm zu erkennen: ein zur Seite geneigtes X mit einer Schleife am aufrechten Schenkel.
«Ich plane meine Grabstätte», erklärt Porfyrius. «Ich habe einen Architekten bestellt, der daran arbeitet.»
«Glaubst du, sie bald nötig zu haben?»
«Ich bereite mich vor. Unserer Generation – dir, mir, dem Augustus – geht die Zeit aus. Auch du solltest Vorsorge treffen.»
«Meine Grabstätte ist schon gebaut.» Eingehöhlt in den Hang hinter meiner Villa in Moesia, umgeben von Zypressen und Lorbeer. Ein einsamer Ort. Ob ich ihn lebend noch einmal sehen werde, ist fraglich.
Ich zeige mich an den Plänen interessiert. «Eine ungewöhnliche Art der Verzierung.»
Sein Gesicht – sonst immer sehr lebhaft – bleibt ausdruckslos. «Heutzutage wählt doch fast jeder Konstantins Monogramm für sein Grabmal. Ich wollte eigentlich etwas anderes, womit ich meinen Glauben bezeuge. In dem Zusammenhang ging mir die Kette durch den Kopf, die du mir gezeigt hast. Sie erinnert mich an meinen alten Freund Alexander.»
Er rollt die Pläne zusammen und legt sie in ein Wandregal. «Vielen Dank für deinen Besuch.»
Ich bin schon auf dem Weg zur Tür, als von der Straße her Rufe laut werden und durch das hohe Fenster in der rückwärtigen Mauer dringen. Sie klingen nach Tumult. Wenig später stürmt aufgebracht ein Sklave zur Tür herein.
«Es heißt, der Augustus sei tot!»
Porfyrius nimmt die Nachricht gelassen. Er scheint ebenso wenig überrascht zu sein wie ich.
«Es wird sich einiges ändern.»
«Sei auf der Hut», ermahne ich ihn. «Es wäre schade, wenn du deine Grabstätte beziehen müsstest, ehe sie fertig ist.»
Am nächsten Tag liegt Konstantins Leichnam aufgebahrt in der großen Halle des Palastes. Vor der Konstantinsäule auf der Hauptstraße stehen Trauergäste Schlange: Senatoren neben Krämern, Schauspieler Schulter an Schulter mit Priestern. Jedes Gesicht ist ein Fragment in einem Mosaik allgemeiner Trauer. Der Anblick bewegt. Sie alle haben ihren Augustus wahrhaft geliebt, glaube ich. Ihm verdanken sie ihre Stadt. Er hat für volle Getreidespeicher gesorgt, die Märkte beschickt und die Barbaren zurückgedrängt. Er hat sie frei wählen lassen, ob sie den alten Göttern im Tempel oder dem neuen Einen in der Kirche huldigen wollen. Und nun erzittert die Welt.
Die Menschenschlange zieht in der Nähe meines Hauses vorbei. Ich kann sie immerzu hören, tagsüber im Garten oder während der heißen Nächte auf meinem Bett. Seit
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