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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Regen nahm zu. Abby wischte sich einen Tropfen von der Stirn und spürte zu ihrer Überraschung, wie nass ihre Haare waren. Ihr schien es, als sauge der ganze Körper die Feuchtigkeit der Luft auf.
    An die Rasenfläche hinter dem Münster grenzte ein Labyrinth aus gepflasterten Gassen und aneinandergedrängten, schmalen Häusern, gebaut aus braunen Ziegeln und vorspringendem Fachwerk nach altem Vorbild, obwohl sie wahrscheinlich nicht älter als vierzig Jahre waren. Manche hatten spitz zulaufende Türen und seltsam anmutende Bleihauben darüber. Abby fand das Haus Nummer 36 und drückte auf die Klingel.
    Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, so weit, wie es die vorgelegte Kette erlaubte. Eine kleine Frau in Jeans und pinkfarbenem Sweatshirt blinzelte ihr entgegen. Ihr Gesicht war faltig, das dunkle Haar grau meliert und zu einem losen Knoten zusammengefasst.
    «Sind Sie Jenny Roche?» Abby musste noch einmal tief Luft holen. «Die Schwester von Michael Lascaris?»
    Eine Antwort erübrigte sich. Es war den Augen anzusehen. Sie hatte den gleichen hellen, forschenden Blick wie Michael, obwohl ein wenig stumpf geworden von Alter und Schmerzen.
    «Mein Name ist Abby Cormac. Ich war Michaels …» Was? «Ich kannte ihn aus dem Kosovo und war bei ihm, als … Tut mir leid, dass ich Sie so überfalle, aber ich habe keine …»
    Die Frau hörte nicht zu; sie schaute Abby nicht einmal an, sondern blickte über ihre Schulter hinweg in den Regen, der auf die leere Straße fiel.
    «Sind Sie allein gekommen?»
    «Ja, aber –»
    «Kommen Sie rein.»

    Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie vor Michaels Schwester saß. Im krassen Unterschied zu ihm, der verwegen, extrovertiert und fröhlich gewesen war, wirkte Jenny zerbrechlich und ernst. Während ihr Bruder eine chaotische Art an den Tag gelegt hatte, schien sie in ihrer Wohnung auf pedantische Ordnung Wert zu legen. Abby hockte auf dem Rand eines rosengemusterten Sofas mit Plastikschonern und nippte an einer Teetasse aus feinem Knochenporzellan. Auf jeder freien Oberfläche standen gerahmte Fotos, die wie in stummer Versammlung Anteil nahmen. Kinder während der Sommerferien in kurzen Hosen und dünnen Kleidern, deren Farben verblasst waren; Teenager mit aufgedonnerten Frisuren und unsicherem Lächeln; stolze Eltern mit Säuglingen im Arm. Abby fragte sich, wer all diese Leute waren. In dieser aufgeräumten Wohnung ließen sich keinerlei Spuren von Kindern ausmachen, und Michael hatte von seiner Familie kaum etwas erzählt, gelegentlich nur angedeutet, dass sie ziemlich groß sei, was zu dem eher kleinen, engen Haus nicht so recht zu passen schien.
    Manche Rahmen waren ohne Foto, leere Fenster, anscheinend vor kurzem erst geplündert. Ungeschriebene Geschichte.
    «Ich weiß von der Polizei, dass Sie mit ihm zusammen waren», sagte Jenny. «Ich hätte schon von mir aus Kontakt zu Ihnen aufgenommen, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, wie. Man hat mich nicht ins Krankenhaus gelassen.» Als sie Abbys Verwunderung sah, fügte sie hinzu: «In Montenegro. Ich war dort, wegen Michaels Tod.»
    «Verstehe.»
    «Ich musste ihn identifizieren.» Jenny schüttelte sich. Der Tee schwappte in ihrer Tasse, ging aber nicht über den Rand. «Ich hoffe, so etwas bleibt Ihnen erspart. Er hatte drei Tage lang im Wasser gelegen. Es war schrecklich. Ich musste mich zwingen, richtig hinzusehen, und hätte mich fast erbrochen.»
    «Hat man Ihnen irgendetwas gesagt? Einen Hinweis darauf gegeben, wer ihn getötet haben könnte?»
    Jenny langte sich an den Hals und nestelte mit dünnen Fingern an einem Goldherzchen, das an einer Kette hing. «Nichts. Ich dachte, vielleicht wüssten Sie etwas.»
    «Im Grunde nicht.» Abby biss ein Stück von ihrem Gebäck ab und hütete sich davor, Krümel fallen zu lassen. «Mir ist nur ein Gerücht zu Ohren gekommen – nein, nur eine vage Vermutung –, wonach das organisierte Verbrechen hinter der Tat stehen könnte. Ich weiß nicht, was Sie über den Kosovo – oder den Balkan allgemein – wissen, aber es geht dort zu wie im Wilden Westen. Die Länderregierungen sind so schwach, dass sie gegen das organisierte Verbrechen keine Chance haben oder erst gar nichts dagegen unternehmen, weil einzelne Vertreter von ihm gekauft sind. Michael arbeitete für den Zoll. Möglich, dass er sich Feinde gemacht hat, ohne es zu wissen.»
    «Er hat Ihnen gegenüber nichts gesagt? Bevor …»
    «Sie wissen, wie er war. Für ihn gab es eigentlich nie Probleme.»
    Jenny rang sich ein

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