Die Geheimnisse der Toten
handele es sich um einen völlig normalen Vorgang, und niemand ist so unverfroren, die Wahrheit zu sagen: dass nämlich mit diesem glücklichen Tag verräterische Absichten einhergehen. Indem sich Konstantin zum Verbündeten der Usurpatoren Maximian und Maxentius macht, nötigt er Galerius, gegen ihn vorzugehen.
«Vater und Sohn hätten mit Galerius Frieden schließen und sich gegen mich wenden können», erklärte Konstantin, als ich ihn vor der Hochzeit warnte. «Wenn Galerius mich loswerden will, muss er jetzt zuerst meinen neuen Schwager und Schwiegervater aus dem Weg räumen.»
«Aber du bist verpflichtet, sie zu verteidigen», gab ich zu bedenken.
Konstantin lächelte. «Vielleicht.»
Vorerst aber herrscht Harmonie. Wir versammeln uns im Thronsaal des Palastes, der mit Girlanden geschmückt ist und im Glanz zahlloser Kerzen erstrahlt. Das Ehebett steht in der Mitte, mit einer purpurnen Decke drapiert, in die mit Goldfäden Jagd- und Schlachtszenen gestickt sind. Es hat mit dem Bett nur eine symbolische Bewandtnis. Vollzogen wird die Ehe später irgendwo anders.
Aus einer Kammer schallt Gesang. Die Braut kommt. Sklaven öffnen die Tür, und da steht sie, umleuchtet von Fackelschein. Ein aus rotbrauner Seide gesponnener Schleier verhüllt ihr Gesicht. Das Kleid wird unter den Brüsten von einer Kordel gerafft, die ein schmuckvoller Herkulesknoten zusammenhält. Dem Brauch nach soll der Bräutigam den Knoten lösen, doch wie ich Konstantin kenne, wird er ihn wahrscheinlich kurzerhand zerschneiden.
Vorsichtig helfen ihr ihre Dienstmägde über die Schwelle. Es wäre auch zu dumm, wenn die Braut des Kaisers vor diesem zu Boden stürzte. Alle Augen sind auf sie gerichtet. Ich sah junge Frauen unter so viel Aufmerksamkeit zittern, doch Fausta scheint Gefallen daran zu finden. Sie ist erst fünfzehn Jahre alt, aber an ihrer Haltung ist nichts Mädchenhaftes. Ein Bein tritt kokett aus dem Schlitz des Kleides hervor, sie wiegt die Hüften und reckt den Hals. Anscheinend will sie uns einen Vorgeschmack darauf geben, was in dieser Nacht noch geschehen wird.
Mit einer Fackel in der Hand tritt Konstantin vor, begleitet von seinem auspex , der in Eingeweiden liest und die Zukunft weissagt. Doch es wird zu dieser Hochzeit kein Blutopfer geben. Konstantin nimmt Fausta bei der Hand und fragt sie dem Ritus gemäß nach ihrem Namen.
«Wo immer du bist, Gaius, werde ich Gaja sein», antwortet sie mit der Formel, die so alt ist, dass keiner mehr ihre eigentliche Bedeutung kennt.
Als Konstantin das erste Mal heiratete, stand ich als sein auspex neben ihm. Jetzt, da er Kaiser ist, kann dieses Amt nur ein ebenbürtiger Machthaber bekleiden. Ich versuche, nicht gekränkt zu sein.
Konstantin reicht ihr die Fackel und bekommt von seinem zukünftigen Schwager Maxentius einen mit Wasser gefüllten Goldkrug, den er an Fausta weitergibt. Dann lüftet er ihren Schleier.
Im Unterschied zu den politischen Vorteilen einer Ehe sind die geschlechtlichen kaum in Frage zu stellen. Die Familienähnlichkeit kleidet Fausta ausgesprochen gut: Die langen Wimpern und der Schmelz der Haut, die ihren Vater und ihren Bruder weibisch aussehen lassen, verleihen ihr Schönheit. Sie ist in einem Alter, da der Körper zur vollen Reife erblüht; Brüste, Hüften und Schenkel runden sich unter dem Gewand, während das Gesicht noch kindliche Unschuld ausstrahlt. Ein gefährliches Alter.
Konstantin führt sie zum Ehebett. In stilisierter Umarmung legen sie sich darauf nieder, während die Gäste anstehen, um zu gratulieren. Drei Herrscher sind zugegen. Die Regeln der Rangordnung einzuhalten ist kaum möglich, doch wer als Erster gratuliert, steht fest: Konstantins Mutter, die Kaiserwitwe Helena. Sie ist sechzig Jahre alt, aber immer noch die mächtigste Frau im Saal. Hohe Wangenknochen, ein fester Mund, blaue Augen, denen nichts entgeht, und die knochigen Schultern aufrecht wie eh und je. Böse Zungen behaupten, sie sei die Tochter eines Bordellbesitzers, und obwohl ich sie ein Leben lang kenne, wage ich es nicht, sie darauf anzusprechen. Die dicke Schminke aus weißem Puder und Purpur lässt nicht erkennen, was sie denkt. Vielleicht hätte sie sich eine christliche Feier gewünscht. Vielleicht erinnert sie sich an eine ähnliche Szene, als sich Konstantins Vater von ihr scheiden ließ, um eine vorteilhaftere Ehe einzugehen.
Die Parallele drängt sich tatsächlich auf und muss für sie sehr schmerzhaft sein. Nach der Trennung von Helena heiratete
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