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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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dunkelblauen Himmel. «Sein Bote gab mir ein Zeichen und sprach, wenn wir heute unter diesem Zeichen und im Namen Gottes kämpfen, werden wir den Tyrannen bezwingen und einen Sieg für die Ewigkeit davontragen.»
    Am Sockel des Grabmals bewegt sich etwas. Ein Soldat erklimmt eine Leiter und reicht Konstantin einen Gegenstand, der aussieht wie ein in ein weißes Tuch gewickelter Speer. Konstantin nimmt ihn entgegen. Als er ihn in die Höhe hebt, fällt das Tuch herab und enthüllt eine neue Standarte: einen langen, vergoldeten Stab mit goldenem Querstück, von dem das kaiserliche Banner herabhängt, darüber ein Kranz aus Edelsteinen und Golddrahtkronen, in dessen Mitte die Umrisse der übereinandergelegten Buchstaben X und P zu erkennen sind.
    «Das ist Gottes Zeichen.»
    Er hat für seinen Auftritt genau die richtige Zeit gewählt, denn in diesem Augenblick geht hinter ihm die Sonne auf und hüllt ihn in Glanz. Helle Strahlen zerstieben in den Edelsteinen und bringen die Gesichter der Männer zum Leuchten. In diesem Moment bin selbst ich bereit zu glauben.

    Maxentius’ Truppen überleben den ersten Angriff nicht. Normalerweise rät es sich nicht, die eigene Kavallerie gegen eine gutgestaffelte Infanterie antreten zu lassen, aber Konstantin spürt, dass diese Männer – fast ausnahmslos junge unerfahrene Burschen und Aushilfskräfte – nicht den Mumm haben zu kämpfen. Wir stürmen den Abhang hinunter, und der Menschenwall gibt nach. Maxentius versucht, über seine Pontonbrücke zu entfliehen, doch im Chaos des Gemetzels reißen die Seile, und er stürzt ins Wasser. Ein Stück weiter flussabwärts finden wir seine Leiche vor einem Pfeiler der Milvischen Brücke und ziehen sie wie einen toten Fisch an Land. Ich schneide ihm eigenhändig den Kopf ab, damit Konstantin ihn den Bürgern Roms präsentieren kann.

Konstantinopel – April 337
    Ich sitze vor meinem Haus auf der Bank und drehe den Messinglöwen meiner Gürtelschnalle so, dass Sonnenstrahlen auf ihn fallen. Mit dem Daumennagel zeichne ich die Kerben und Schrammen im Metall nach. Es ist mein cingulum , mein Schwertgurt, den ich seit damals tagtäglich trage. Aber ist es wirklich derselbe Gurt? Das Leder wurde bereits drei- oder viermal ausgewechselt und verlängert; mehrere Blechstücke sind abgefallen und mussten ersetzt werden. Auch Konstantin und ich sind nicht mehr dieselben und uns sogar selbst fremd geworden. Die Messinghaut des alten Löwen ist abgenutzt und stumpf.
    Es klopft an der Pforte. Ich warte darauf, dass mir mein Diener sagt, wer gekommen ist. Aber statt seiner erscheinen vier Soldaten in blutroten Umhängen und poliertem Rüstzeug. Ich glaube zu träumen. Der Zenturio, ein vernarbter Kerl, sagt: «Komm mit uns.»

[zur Inhaltsübersicht]
    15
    Rom – Gegenwart
    «Wenn Sie Schwierigkeiten machen, werden wir Sie töten.»
    Der Mann stieß sie auf den Rücksitz. Ein Tuch legte sich ihr übers Gesicht. Es roch streng, und Abby fragte sich, ob es mit Chloroform getränkt war. Sie versuchte, die Luft anzuhalten, doch ihr Herz raste.
    Es war nur Aftershave, wie sie feststellte, ein eklig süßer Veilchenduft, der von dem Tuch ausging. Ihre Augen wurden damit verbunden. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Eine Hand an ihrem Hinterkopf hielt sie auf den Ledersitz gedrückt.
    So passiert’s, dachte sie benommen. Sie kommen in der Nacht und holen dich. Vielleicht töten sie dich, vielleicht begnügen sie sich auch damit, Schrecken zu verbreiten. Wie auch immer, es bleibt nicht ohne Folgen für dich. Sie hatte diese Geschichte in unzähligen Varianten gehört und immer die gleichen toten Tränen gesehen, ob aus braunen oder blauen Augen.
    Der Wagen fuhr. Abby blieb nichts anderes übrig, als auf Geräusche zu achten: das Klappern eines losen Sicherheitsgurtes, die Umdrehungen des Motors, das gelegentliche Ticken des Blinkers. Ein Kinoheld hätte die Sekunden gezählt und jede Richtungsänderung registriert. Aber sie wusste vor Angst nicht, wo ihr der Kopf stand. Sie konnte nur versuchen, sich nicht von Panik überwältigen zu lassen.
    In der Ferne war eine Sirene zu hören, was ihr ein wenig Hoffnung machte. Hatte jemand gesehen, wie sie entführt worden war, und die Polizei gerufen? Würde man sie retten? Die Sirene schwoll an und schien von hinten aufzuschließen. Der Wagen wurde langsamer und wich zur Seite aus. Sie wollte die Binde von den Augen reißen, von der Rückbank aufspringen und um Hilfe schreien. Doch die Hand hielt sie noch fester auf

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