Die Geheimnisse der Toten
es mit dem Tod dieses Bischofs auf sich, dass alle, sei es ein alter Heide oder Konstantins Heeresmeister, auf dessen Schicksal so empfindlich reagieren?
«Eine unwichtige Angelegenheit», versichere ich ihm. «Mir ist selbst kaum erklärlich, warum sich der Augustus überhaupt darum kümmert.»
Meinem Ruf verdanke ich unter anderem, dass man mir immer unterstellt, gut informiert zu sein, auch und gerade dann, wenn ich das Gegenteil behaupte. Severus grinst mir verschwörerisch zu. «Gerüchte machen die Runde, General. Du wirst davon gehört haben.»
«Welche Gerüchte?»
«Es heißt, dass dein toter Bischof eine Dokumentenschatulle hinterlassen hat, die nun verschwunden ist.»
Wieso mein toter Bischof? «Bischof Alexander arbeitete in Konstantins Auftrag an einem Buch – einem Kompendium der Ereignisse seiner Regierungszeit. Wenn er irgendwelche Dokumente bei sich hatte, waren sie wahrscheinlich für diesen Zweck bestimmt.»
Severus rückt näher. «Die Vergangenheit interessiert uns nicht.»
Ich glaube ihm aufs Wort. Konstantin hat eine neue Generation nach seinem Bild geformt, der die Vergangenheit eher peinlich ist. Die angestammten Götter landen in der Rumpelkammer, und alte Bücher eignen sich zum Feuermachen.
Ich werfe einen Blick auf Ursus und hoffe auf einen Hinweis.
«Du weißt, dass der Hof in Lager gespalten ist.»
«Sonst wäre es kein Hof. Er lebt von Wechselspielchen.»
Keiner lacht. «Es heißt, Konstantins Schwester Constantiana sei im Besitz eines geheimen Testaments, das er eigenhändig aufgesetzt haben soll», sagt Severus.
«Zu wessen Gunsten?»
«Das weiß keiner.»
«Wer verbreitet dann ein solches Gerücht?»
Ursus grunzt. «Du weißt doch, wie es dazu kommt. Geflüster, verstohlene Blicke und Schatten im Rauch.»
Ja, das weiß ich. «Es gibt kein geheimes Testament», entgegne ich unumwunden. «Und selbst wenn es eines gäbe, wie sollte es in Alexanders Besitz gelangt sein? Wann hätte je ein Priester über die Nachfolge eines Kaisers entschieden? Das Heer ist loyal.» Ich sehe in Ursus’ braune Augen. «Oder etwa nicht?»
«Konstantin gegenüber, ja.»
«Aber nach Konstantin …» Severus’ Lippen sind violett vom Wein. «Das Erbe muss unter den Söhnen gleich verteilt werden.»
«Die Armee verlangt eine geordnete Nachfolge», bestätigt Ursus.
Ich weiß, was er meint. Die Armee will, dass das Imperium unter den drei Söhnen Konstantins aufgeteilt wird. Drei Kaiser bedeuten drei Armeen, ein Dreifaches an Generälen und Profiten für deren Zulieferer, die in palastähnlichen Villen am Ufer des Bosporus wohnen.
«Geordnet wäre die Nachfolge nur, wenn sie einer anträte.»
«Nur, wenn niemand Einspruch erheben würde.»
«Die Zeiten haben sich geändert», sagt Severus. «Wir stehen vor einer neuen Ära.»
«Das wird zu allen Zeiten behauptet.»
«Alte Männer glauben, alles sei wieder beim Alten.»
Ich schaue ihn mir genau an. Er trägt ein Lederband am Hals, daran einen Anhänger, der hinter der Tunika verschwindet, aber wenn er sich nach vorn beugt, sehe ich einen geschwungenen, schuppigen Fischrücken in Bronze.
«Ich erinnere mich an Tage, als du der Rabe warst und ich der Skorpion», sage ich. Severus blickt mich an, als redete ich in Zungen. Vielleicht tut er aber auch nur so, als wüsste er nicht, worauf ich mich beziehe: Er steckte damals mit seinen Kameraden in einem feuchten Kellerloch unmittelbar an der Grenze fest und kniete vor mir, um sich das Blut Mithras’ auf die Stirn malen zu lassen; er brannte darauf, in seine Mysterien eingeweiht zu werden.
«Es gibt nur den einen Gott, Jesus Christus», erwidert er. Ursus, der damals auch bei uns war, sagt nichts.
Es hat keinen Zweck zu streiten. Ich könnte Severus Verrat an unseren alten Göttern vorwerfen, doch es würde ihn kaltlassen. Ihn interessiert die Vergangenheit nicht, nicht einmal seine eigene.
«Warum ist er hier?», frage ich Ursus. «Weiß Konstantin Bescheid?»
Ihre Mienen verraten mir, dass er nicht informiert ist.
«Der Caesar Claudius macht sich Sorgen um seinen kranken Vater», sagt Severus.
Soll heißen: Konstantin ist ein alter Mann. Für den Fall, dass etwas passiert, will Claudius seinen Mann vor Ort haben, um sein Erbe zu sichern. Kein Wunder, dass sich Severus hier versteckt hält und aus sicherer Entfernung den Palast im Auge hat. Wenn Konstantin davon erführe, würde Severus für den Rest seines Lebens auf irgendeinem Felsen in der Ägäis Möwen zählen.
Ein Diener
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