Die Geheimnisse der Toten
kommt und reicht Ursus eine Schriftrolle, worauf dieser sich ein paar Schritte entfernt, um zu lesen. Er lässt mich mit Severus allein.
«Ich sah den Augustus vor zwei Tagen», sage ich ihm. «Du kannst nach Trier zurückkehren und berichten, dass er kerngesund ist.»
Severus nickt, als wären ihm meine Worte eine Hilfe. Dabei wissen wir beide, dass er nirgendwohin geht. «Ich muss wissen, was in dem Testament steht, Valerius.» Er lässt den General jetzt fort. «Wie du schon sagtest, der Hof ist in Lager gespalten. Manche wollen Claudius um sein Erbe bringen, und wer weiß, wie sie das anstellen werden.»
«Konstantin trifft seine Entscheidungen selbst, souveräner als jeder andere.»
«Er könnte sich von übler Nachrede umstimmen lassen. Das ist dir bekannt.»
Wieder trifft sein Stachel tief in mein Herz. Ich würde ihn am liebsten von den Klippen stoßen und so lange unter Wasser halten, bis die Fische ihm ein für alle Mal den Hochmut vom Gesicht geknabbert hätten.
«Du bist immer noch der Rabe, Severus, auch wenn du dich daran nicht mehr erinnerst. Du sitzt in einem Baum und wartest darauf, dass der Wind dir den Geruch des Todes zuträgt.»
Meine letzte Attacke rührt ihn nicht. Ich bin ohne eigene Familie und habe mir erspart, miterleben zu müssen, wie Eltern von den eigenen Kindern wie Kinder behandelt werden. Aber jetzt ahne ich, wie es sich anfühlt.
Ursus kommt zurück und tritt zwischen uns.
«Mein Boot wird dich zurückbringen.»
Er lässt mich allein ziehen. Doch als ich den Landungssteg erreiche, ruft er mir eine letzte Frage hinterher:
«Hast du dich schon einmal gefragt, warum Konstantin ausgerechnet dich, der nichts über die Christen weiß, beauftragt hat, den Mord an einem Bischof aufzuklären?»
[zur Inhaltsübersicht]
17
Rom – Gegenwart
Bis zur allerletzten Minute wusste sie nicht, was sie mit ihr vorhatten. Mit verbundenen Augen wurde sie über die Treppe nach unten und zum Wagen geführt. Die anschließende Fahrt dauerte eine Ewigkeit, wie ihr schien. Der Druck der Hand in ihrem Rücken ließ keinen Moment nach. Sie lag wie ein Ball zusammengerollt in ihrem Erbrochenen und durchlebte ihre Albträume aufs Neue. Die Villa am Meer, das schwarze Museum und die schrecklichen Orte, an denen sie gewesen war. Sie hörte Stimmen in ihrem Kopf, Stimmen von Gespenstern, die durcheinandersprachen. Hector: Du bist zu lange Toten nachgejagt und solltest wieder frische Luft atmen. Michael, an irgendeinem Urlaubsstrand: Lass dich niemals involvieren. Berichte, die sie geschrieben hatte, präzise und mit kühlem Kopf: Augenzeugen sahen, wie das Opfer von unbekannten Männern in ein Auto gezerrt wurde; acht Stunden später wurde die Frau tot in einem Wald aufgefunden.
Nur, als sie mich entführten, gab es keine Zeugen.
Der Wagen hielt an. Eine Tür öffnete sich. Sie spürte einen Stoß im Rücken und dann einen schmerzhaften Aufprall, als sie mit der Schulter auf hartem Grund landete. Über ihrem Kopf fiel die Tür ins Schloss. Sie hörte den Motor aufheulen, Reifen quietschen. Heiße Abgase schlugen ihr ins Gesicht. Dann war es still.
Als sie die Binde vom Kopf zog, stach ihr natrongelbes Stadtlicht in die Augen. In der Ferne leuchteten zwei Bremslichter auf und verschwanden hinter einer Kurve.
Sie war allein. Platanen rauschten im Wind. Feiner Regen traf auf ihr Gesicht und spülte die Tränen fort. Sie raffte sich auf und wankte auf eine wenige Schritte entfernte Mauer zu. Dahinter strömte, eingeengt von Wänden aus Beton, der Tiber vorbei. Rund hundert Meter flussabwärts sah sie eine Brücke und auf der anderen Uferseite das klotzige Gefängnis von Trastevere gleich neben ihrem Hotel.
Sie haben mich fast bis nach Hause gebracht. Der Gedanke versetzte ihr einen letzten Stich.
Abby taumelte über die Brücke und pochte an die Hoteltür, bis man ihr aufmachte. In ihrem Zimmer breitete sie alle zusätzlichen Decken, die sie im Schrank finden konnte, auf dem Bett aus und schlüpfte darunter.
Es dämmerte schon, als sie endlich einschlief und von Albträumen heimgesucht wurde.
Gegen Mittag von einem Zimmermädchen geweckt, das polternd durch die Tür kam, schrie Abby vor Schreck so laut auf, dass die Dame vom Empfang herbeigelaufen kam, um nach dem Rechten zu sehen. Abby duschte und zog sich an. Sie ging in ein kleines Café an der Ecke und trank drei Espressi an der Theke. Zwei Männer starrten sie an, ohne sie weiter zu belästigen. Im Spiegel hinter der Bar sah sie, dass
Weitere Kostenlose Bücher