Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
Vom Netzwerk:
andere Seite der Wasserstraße –, doch gewisse Leute schätzen sie nach wie vor ihrer Annehmlichkeiten wegen. Die Häuser sind geräumig, und die Luft ist so klar, dass die eifersüchtigen Blicke bis in jeden Winkel Konstantinopels reichen.
    Das Boot lässt den Hafen hinter sich und steuert auf eine steinerne Anlegestelle zu. In langen Terrassen steigt ein Garten den Hang hinauf bis zu einer stattlichen Villa auf der Hügelkuppe. Die Mandelbäume stehen in Blüte; Bienen umschwirren Zyklamen und Rosen. Auf halbem Weg zum Haus warten zwei Männer auf einer der Terrassen. Einer eilt herbei, um mich zu begrüßen.
    «General Valerius. Es ist lange her.»
    Es dauert einen Moment, bis mir ein Licht aufgeht – nicht weil ich Schwierigkeiten gehabt hätte, ihn wiederzuerkennen, sondern weil ich am allerwenigsten damit gerechnet habe, ihn hier anzutreffen. Es ist Flavius Ursus, der Heermeister und nach Konstantin mächtigster Soldat des ganzen Reiches. Ich kannte ihn bereits, als er noch Tribun der Octavani , der Legio Augusta, war. Flavius der Bär, wie wir ihn nannten. Im Feld trug er ein Bärenfell und eine Halskette aus Klauen und Zähnen. Er ist eher klein gewachsen, hat aber mächtige Schultern und einen Rumpf wie ein Fass. Die Narben in seinem Gesicht sind vom Bart überwuchert. Sein Vater war ein Barbar, der in den Wirren vor Diokletians Herrschaft die Donau überquerte und sich dem römischen Heer anschloss, um seine Landsleute, die ihm folgen wollten, zurückzudrängen. Der Sohn, so vermute ich, ist von ähnlich wechselnder Gesinnung.
    Er führt mich den Hang hinauf.
    «Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, dass ich dich von meinen Männern habe holen lassen.» Wir erklimmen Stufen und erreichen eine breite Terrasse. «Und hier ist noch ein Gesicht aus alten Tagen.»
    Der Mann, der auf uns wartet, ist jünger als wir, vielleicht halb so alt wie ich. Er hat kurze dunkle Haare, rundgeschnitten über der Stirn, und trägt eine selbstgefällige Patriziermiene zur Schau. Es scheint, dass es ihn freut, mich zu sehen. Warum, weiß ich nicht.
    «Mein Herr.»
    Er drückt meine Hand, unterlässt es aber, sich vorzustellen. Offenbar hofft er, dass ich mich erinnere.
    «Marcus Severus?» Es ist halb geraten, aber er lächelt und bestätigt meine Vermutung. «Das letzte Mal sahen wir uns …»
    «Auf dem Feldzug gegen Chrysopolis.» Jetzt, da ich ihn wiedererkannt habe, freut er sich, meiner Erinnerung auf die Sprünge helfen zu können. «Ich war in deinem Stab.»
    «Und jetzt bist du bei den Gemina?», vermute ich. «Du wirst inzwischen mindestens Tribun sein.»
    Er errötet. «Ich bin Hauptmann des Stabes von Caesar Claudius Constantinus.»
    «Natürlich.» Seit unserer letzten Begegnung sind zwölf Jahre vergangen. Er war ein junger Heißsporn, der in meinem Stab viel Wirbel machte und darauf brannte, zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Ich winke mit der Hand ab, um meine Erinnerungslücken zu entschuldigen. «Das Gedächtnis eines alten Mannes … Was ich zu wissen glaube, habe ich im nächsten Moment schon wieder vergessen. Gratuliere, diesen Posten hast du verdient.»
    Betretenes Schweigen stellt sich zwischen uns dreien ein. Warum ist Severus hier? Er müsste eigentlich in Trier sein. Und warum wohnt er bei Ursus?
    Ein Sklave bringt auf einem silbernen Tablett Becher mit Würzwein. Ich nippe an meinem und schaue hinaus aufs Meer. Über der Stadt hängt eine bräunliche Glocke aus Staub und Rauch.
    «Ist das dein Haus?», frage ich Ursus.
    «Es gehört einem Händler, der unser Heer beliefert. Er überlässt es mir von Zeit zu Zeit, immer dann, wenn ich Abgeschiedenheit suche.»
    Der Händler verdient offenbar gut an seinen Lieferungen für das Heer. «Hast du einen alten Mann über das Wasser rudern lassen, damit er sich an alte Tage erinnert?»
    «In den alten Tagen hattest du, General, immer deinen Finger am Puls der Zeit», sagt Severus.
    «Ich habe mich zur Ruhe gesetzt und mir ein Haus in den Bergen von Moesia gebaut, wohin ich mich bald zurückziehen werde. Sobald mich der Kaiser gehen lässt.»
    Ursus gibt ein kurzes, bellendes Lachen von sich. «Es ändert sich doch wirklich nichts. Nach jeder Schlacht, in der ich an deiner Seite gekämpft habe, sagtest du, es sei deine letzte. Und wie ich höre, hat der Kaiser nun einen letzten Auftrag für dich. Du bist wohl immer noch seine vertraute rechte Hand.»
    Als die Soldaten an meine Tür klopften, hatte ich mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem Stelldichein. Was hat

Weitere Kostenlose Bücher