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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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viel darin, nur ein paar Daten zu Routinegesprächen oder kleineren Besorgungen. Zwei Einträge allerdings machten sie stutzig. Drei Wochen vor seinem Tod hatte er notiert: Levin, OMPF – dreimal unterstrichen. Eine Woche später: Jessop, 91.
    Plötzlich schrillte das Telefon. Vor Schreck hätte Abby das Notizbuch fast aus der Hand fallen lassen. Das andauernde Klingeln des Telefons drang in jeden Winkel ihrer Wohnung. Abby rührte sich nicht. Sie kam sich vor wie ein ertappter Einbrecher. Aber es ist doch deine Wohnung , erinnerte sie sich.
    Sie hob nicht ab. Das Telefon klingelte weiter, bis sie sich fast daran gewöhnt hatte. Dann war es still. Unten auf der Straße hörte sie einen Wagen vorfahren. Sie eilte ans Fenster und schaute hinaus. Ein silberner Opel mit Allradantrieb und EU-Kennzeichen parkte am Straßenrand. Eine Tür öffnete sich. Sie wich vom Fenster zurück, um nicht gesehen zu werden. Woher wussten sie, dass sie zu Hause war? Von Annukka?
    Ich bin Angestellte der EU und befinde mich an diesem heutigen Samstagnachmittag in meiner eigenen Wohnung. Aber so war es im Grunde nicht. Sie lief in die Küche und kramte den Schlüssel aus der Keksdose, für den Fall, dass sie zurückkehren musste. Dann schlüpfte sie durch das Badezimmerfenster, kletterte vom Vordach und rannte so schnell, wie es die Schmerzen zuließen, davon, ohne ein einziges Mal zurückzublicken.

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    18
    Konstantinopel – April 337
    Ich sitze im Bootsheck. Die Sonne senkt sich auf Konstantinopel, der Palast liegt im Schatten, während am anderen Ufer die Dächer von Chrysopolis golden leuchten. Ich bin in schwarzer Stimmung und verärgert, dass ich mich von Severus habe provozieren lassen. Aber das gibt sich wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass ich die Beherrschung verloren habe. Es existiert ein tief sitzender, boshafter Fleck in mir, den ich zwar spüren, aber nicht erreichen kann.
    Ich zwinge mich, an das Wesentliche unseres Gesprächs zu denken. Wenn Konstantins Sohn Claudius seinen Stabshauptmann von Trier nach Konstantinopel geschickt hat, wird er sich um seinen Vater ernstlich Sorgen machen. Oder genauer: Sorgen um sein Erbe. Konstantin selbst hat vor dreißig Jahren in York einsehen müssen, dass ein Sohn an der Seite des sterbenden Vaters sein sollte, denn wenn die Krone rutscht, ist er tunlichst dort, um sie aufzufangen.
    Der Gedanke an Konstantins Tod erschreckt mich. Als ich ihn das letzte Mal sah, wirkte er durchaus gesund. Aber wahrscheinlich habe ich mich täuschen lassen. Konstantin hat Ärzte um sich, die jeden Auswurf oder Blutstropfen von ihm gewissenhaft untersuchen. Jede Menge Sklaven kümmern sich um ihn. Sie wissen am ehesten Bescheid, wenn er Blut im Stuhl, seltsame Flecken auf der Haut oder die halbe Nacht gehustet hat. Und wer für solche Informationen gut zahlt, wird sie auch bekommen.
    Aber wieso interessiert sich Severus für Alexander? Ich kann nicht glauben, dass der Bischof im Besitz von Konstantins letztem Willen war. Der hätte doch bestimmt die ganze Stadt auf den Kopf gestellt, um danach zu fahnden, und nicht mich mit diskreten Ermittlungen beauftragt.
    Alexander ist von einem dichten Netz umstrickt, das ich im Kopf zu entwirren versuche. Einzelne Fäden stehen in Verbindung mit Symmachus, dem unbeirrbaren Adepten der alten Religion, und Eusebius, dem Hohepriester der neuen; mit Asterius, dem Sophisten, der in die Kirchen schielt und nicht eintreten darf, mit Simeon, dem Diakon, sowie Severus und Ursus.
    Der Christenverfolger Symmachus hätte Alexander schon vor dreißig Jahren töten können.
    Asterius schwor seinem Glauben ab, während Alexander daran festhielt.
    Eusebius, der Kirchenmann, wurde von Alexander am Aufstieg gehindert.
    Simeon scheint immer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.
    Severus der Rabe wartet auf Tod und Zukunft.
    Und Alexander zappelte als Fliege in der Mitte des Netzes, als die Spinnen auf ihren Fäden herbeistakten.
    Ein über den Bosporus fahrendes Ruderboot ist ein guter Ort, um solchen Gedanken nachzugehen. Die Sklaven legen sich in die Riemen, die Ruder schwingen: Das Boot bewegt sich, kommt aber dem Ufer scheinbar nicht näher.

    Ich schlafe schlecht und steige erst spät aus dem Bett. Ich sitze in meinem leeren Haus und nehme mir Alexanders Manuskripte vor, die ich von Simeon habe. Eines hat er Die Suche nach Wahrheit genannt. Ich frage mich, ob dieser Titel ironisch gemeint ist.
    Wahrheit geht nicht mit Gewalt zusammen, noch

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