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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Gerechtigkeit mit Grausamkeit.
    Religion wird nicht dadurch verteidigt, dass man tötet, sondern indem man für sie stirbt; nicht durch Grausamkeit, sondern durch geduldiges Ertragen; nicht durch Sünde, sondern durch den festen Glauben.
    Es gilt, die Menschlichkeit zu verteidigen, wenn wir Menschen genannt werden wollen.
    Ich lege die Schriftrolle aus der Hand. Darin werde ich nicht die Wahrheit finden, die ich suche. Mit dem Geschriebenen gibt sich der Verfasser als ein vernünftiger Mann aus, den man sogar gernhaben mag. Nichts deutet auf ein Motiv für den Mord an ihm hin.
    Religion wird nicht dadurch verteidigt, dass man tötet, sondern indem man für sie stirbt. Vor wem wollte er seinen Glauben verteidigen? Vor einem alten Feind wie Symmachus? Vor jemandem aus den eigenen Reihen? Oder einem Mann wie Severus, für den Religion und Politik die beiden Seiten einer Münze sind?
    Alexander kann nicht aus seinem Grab heraus sprechen. Er wurde bisher nicht einmal bestattet, sondern liegt immer noch aufgebahrt in der Kirche, damit seine Anhänger von ihm Abschied nehmen können.
    Mich überkommt eine morbide Neugier. Lebend habe ich Alexander nie gesehen. Vielleicht sagt mir sein Leichnam, was ich wissen muss.

    In Rom, das ihnen die Anerkennung verweigert, treffen sich die Christen zu ihren Gottesdiensten in umgebauten Werkstätten, Lagerhallen oder auch Privatwohnungen. Konstantin hingegen lässt in seiner neuen Stadt jede Menge Kirchen errichten. Die Gemeinde der Christen ist aber so rasch angewachsen, dass die bestehenden Kirchen überfüllt sind und die Gläubigen wieder auf Notbehelfe ausweichen müssen. Die Kirche des heiligen Johannes ist in einem Gebäude nahe der Stadtmauer untergebracht, das vordem als Badehaus diente. Über den Wasserbecken liegen nun Planken; der Triton an der Wand hat sein Gesicht verloren, und die Seenymphen wurden übermalt. Nur ein paar Fische sind erhalten geblieben. Diejenigen, die beschlossen haben, Alexander hier aufzubahren, wollten wohl verhindern, dass die Trauernden auf abwegige Gedanken kommen.
    Es ist Montagmorgen und die Kirche fast leer, was mir sehr recht ist, denn ich will nicht gesehen werden, zumal ich mich hier, im Heiligtum der Christen, ausgesprochen befangen fühle. Alexanders Leichnam liegt auf einer elfenbeinernen Bahre im vorderen Teil der Kirche. Kerzen brennen an den vier Ecken; davor steigt aus einer Kohlenpfanne Weihrauch auf. Er ist in eine schlichte weiße Robe gekleidet, die Füße weisen zur Tür, und auf dem Gesicht liegt ein weißes Tuch. Ich erinnere mich an die Mordwaffe, die Büste, an der Blut und Haare klebten, und zögere, obwohl ich eigentlich nicht von zimperlicher Art bin.
    Ich schlage das Tuch hoch und schnappe unwillkürlich nach Luft. Der Bestatter hat sich Mühe gegeben, doch das Ergebnis seiner Arbeit lässt zu wünschen übrig. Der Bart ist noch voller Blut und das Gesicht von einer dicken Puderschicht bedeckt, die aber die eingedrückte Stirn nicht kaschieren kann. Der wuchtige Schlag hat den Schädel zertrümmert und das Gewebe dahinter freigelegt. Einstiche an den Hauträndern lassen vermuten, dass der Bestatter die Wunde zuzunähen versucht, sich aber dann eines anderen besonnen hat.
    Mit zwei Fingern schiebe ich die Augenlider zurück. Eine klare Flüssigkeit tritt tränend darunter hervor – eine Salbe, die der Bestatter aufträgt, um die Augen zu verschließen. Zwei dunkelbraune Augen starren mir entgegen, überrascht, wie es scheint.
    Und plötzlich bin ich es, der überrascht reagiert. Ich habe ihn gekannt, mehr als mein halbes Leben lang. Er war der Tutor, der den Jungen in der Hochzeitsnacht aus dem Brautbett gejagt hat; und während eines Feldzugs in Italien hockte er mit diesem Jungen in einem Zelt, um ihm Griechisch beizubringen, während Konstantin über die Absichten seines Gottes nachsann. War mir sein Name nicht genannt worden? Wahrscheinlich.
    Er hat doch auch einen meiner Söhne unterrichtet.
    Seltsam, dass ich ihn vergessen habe. Da sucht man eine Münze und stellt das ganze Haus auf den Kopf, um sie schließlich in der eigenen Geldbörse zu finden.
    Die Gerüche von Weihrauch und Salben, mit denen der Leichnam einbalsamiert ist, schlagen mir auf den Magen. Dunkle Flecken trüben meine Sicht. Ich muss an die frische Luft und renne zur Tür, ohne Alexanders Gesicht wieder zugedeckt zu haben. An der Straßenecke ist ein kleiner Platz, auf dem eine Platane steht. Wenn ich mich für eine Weile in ihren Schatten setze,

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