Die Geheimnisse der Toten
geht es mir sicher wieder besser. Ich werde –
«Gaius Valerius?»
Ich kann ihn nicht ignorieren – fast hätte ich ihn über den Haufen gerannt. Ich trete zurück und sehe einen vornehm gekleideten Mann mit funkelnden Augen und einem Lächeln, das viel zu breit ist für die Schrecken im Inneren. Es ist der Mann, dem ich in Symmachus’ Garten begegnet bin.
«Porfyrius?»
«Ich bin gekommen, um dem Bischof die letzte Ehre zu –» Er sieht mein kreidebleiches Gesicht und unterbricht sich. «Geht es dir nicht gut?»
«Ich muss mich setzen.»
Er führt mich zu seiner Sänfte. Doch ich mag mich nicht legen, ich käme mir vor wie ein Leichnam auf der Bahre. Ich setze mich an den Rand im Schatten des Zeltdaches, während einer der Sklaven an einem Brunnen Wasser holt.
«Was willst du hier?», frage ich.
«Wie gesagt, dem Bischof die letzte Ehre erweisen.»
«Du hast ihn doch schon in der Bibliothek gesehen.» Meine Stimme ist brüchig und flach unter dem Eindruck der Erinnerungen. «Kanntest du ihn gut?»
«Er hat mir geholfen, die Wahrheit des christlichen Glaubens zu verstehen.»
Ich verhehle meine Verwunderung nicht. «Ich dachte … als ein Freund von Symmachus …»
«Aurelius Symmachus ist Stoiker.» Er lächelt schief. «Nichts kann ihn erschüttern.»
«Vor dreißig Jahren war er weniger gelassen.»
«Wie wir alle.» Sein Blick richtet sich für einen Moment in die Ferne. «Willst du die Wahrheit wissen, Valerius? Vor dreißig Jahren habe ich die Christen verfolgt, so unerbittlich wie Symmachus. Zu dieser Zeit bin ich das erste Mal auf Alexander getroffen. Es war eine angenehme Begegnung.»
Das Netz, das ich um den toten Bischof gezogen habe, bekommt einen weiteren Faden. «Was hat deinen Sinn gewandelt?»
«Meine Augen sahen das Zeichen der Wahrheit Gottes.»
Mir erschließt sich nicht, ob er es ernst meint oder nicht. Er hört nicht auf zu lächeln, und bei jedem Wort, das er ausspricht, scheint er vor allem auf den Klang zu achten. Ich versuche mir vorzustellen, er stünde vor einem Kohlenbecken und schüre mit einem Eisen die Glut.
Er zuckt mit den Achseln. «Ich war ein Prokonsul, der vor lauter Ehrgeiz den Pfad der Tugend verlassen hat.» Er schaut mich an, um zu sehen, ob ich verstehe, was er meint. «Es gab einen Skandal – vielleicht hast du davon gehört. Carmen et error , wie Ovid sagte. Ein Gedicht und ein Irrtum. Und ehe ich mich’s versah, saß ich in einem kleinen Haus am Rand der Welt, im Schatten von Trajans Wall an der Donau, wo ich über meine Irrtümer nachdenken konnte. Zehn Jahre verbrachte ich dort.» Ein Seufzen, ein Schulterzucken. «Immerhin schrieb ich etliche Gedichte. Und ich machte Alexanders Bekanntschaft.»
«Warum war er an diesem Ort?»
«Wegen eines Glaubensstreites.»
Er tritt vor einen losen Stein auf der Straße. «Eine missliche Situation, wie du dir sicherlich vorstellen kannst: der Verfolger und das Opfer, nach all den Jahren wieder zusammengebracht. Und doch wurden wir wider Erwarten Freunde. Alexander war ein außergewöhnlicher Mann. Ich wollte ihn zum Märtyrer machen, doch er wurde zu einem Heiligen. Was geschehen war, erwähnte er mit keiner Silbe. Ich wartete und wartete – es trieb mich fast zum Wahnsinn. Ich studierte jede Geste, grübelte über jedes Wort, das er sagte, überzeugt davon, dass er mich täuschen wollte. Und eines Tages hielt ich es nicht mehr aus. Ich fragte ihn geradeheraus, ob er sich an mich erinnert.»
Er flüstert jetzt nur noch. «Alexander verzieh mir alles. Nicht aus Gönnerlaune oder zähneknirschend und ganz ohne Tadel oder Belehrung. Er sagte einfach: ‹Ich vergebe dir›, und das war alles. Er kam nie wieder darauf zu sprechen.»
Hat nicht viel gefruchtet , kommentiert die grausame Stimme in mir. Mir kommt das Bild des weißen Leichnams in den Sinn, ausgestreckt auf der Bahre. Meine Finger riechen nach den balsamierenden Salben. Ich schäme mich – und schäme mich dafür, dass ich mich schäme.
Porfyrius reckt sich. «In einem seiner Texte formulierte Alexander den Satz: ‹Wenn wir die Welt regieren wollen, müssen wir die vollkommene Tugend des Einen anstreben, anstatt den Schwächen vieler nachzugeben.›»
«Sprach er von Konstantin?»
«Er sprach von Gott. Und seine Wahrheit hilft seiner Schöpfung. Wir hatten zu lange zu viele Götter und zu viele Kaiser, und dafür haben wir gebüßt. Dank Konstantin haben wir nun einen Gott, einen Herrscher und ein vereintes Imperium. Keine Teilung, keinen Hass,
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