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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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nach, so schnell es die alten Beine und das schwere Gewicht an meiner Hand zulassen, an dem Schrein vorbei und nach der Linksbiegung bergan. Es müsste jetzt eigentlich stockdunkel sein, aber selbst bei Nacht geht von der Stadt ein heller Schein aus.
    Ich habe Mühe, Anschluss zu halten. Meine Schritte klatschen laut aufs Pflaster. Der Mann wirft einen Blick über die Schulter und sieht mich, tut aber so, als kümmerte es ihn nicht. Als er sich aber ein zweites Mal umdreht und den Koffer in meiner Hand erblickt, rennt er plötzlich los.
    Er ist zu schnell für mich, selbst wenn ich den Koffer fallen ließe. Er hat die Anhöhe fast erreicht und wird gleich die Hauptstraße überqueren. Auf der anderen Seite beginnt die Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen. Spätestens dort werde ich ihn aus den Augen verlieren.
    Ein schmächtiger Mann in weißer Tunika rennt plötzlich an mir vorbei. Er kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann ihn nicht richtig sehen. Auch der vorauseilende Mann nimmt von ihm Notiz und scheint in Panik zu geraten. Er zögert kurz und weicht in eine Seitengasse aus. Als ich zur Stelle bin, höre ich ein Schnaufen und Schläge von Fäusten. Der Gejagte hat seinen Verfolger zu Boden geworfen, reißt sich von ihm los und springt auf wie ein Hund. Die Gasse wird von einer hohen Mauer begrenzt, an der er sich nun hochhangelt, um darüber hinwegzuklettern. Ich bekomme seine Beine zu fassen, doch er tritt aus und trifft mein Gesicht mit dem Fuß. Gleich darauf ist er hinter der Mauer verschwunden. Ich schmecke Blut im Mund und bin von Schmerzen wie betäubt, die aber nichts sind, verglichen mit meiner Wut darüber, dass ich ihn habe entkommen lassen.
    «Wer war das?»
    Es ist Simeon, der sich vom Boden aufgerafft hat und seine Schultern massiert. Er hat meinen Rat, fernzubleiben, offenbar in den Wind geschlagen. Egal. Ich muss über die Mauer und schaffe es nicht allein. Also fordere ich ihn auf, die Hände zusammenzulegen, damit ich meinen Fuß hineinsetzen kann. Die Ziegel sind kalt und rau. Ich fürchte, sie könnten aus der Mauer brechen, wenn ich nicht schon vorher den Halt verlöre. Wie ein Fisch zappelnd, hieve ich mich hinauf.
    «Soll ich –?»
    Ich habe es geschafft, liege auf dem Mauersims und schnappe nach Luft. «Gib mir den Koffer.» Mehr habe ich nicht, und ich werde nicht davon ablassen.
    Simeon reicht ihn mir hoch.
    «Und jetzt geh und alarmiere die Wachen.»
    Er nickt und läuft durch die Gasse zurück. Mit dem Koffer in der Hand steige ich auf der anderen Seite der Mauer ab und lasse mich fallen. Die Knie schmerzen, was aber nicht weiter schlimm ist.
    Ich bin im Hinterhof eines Gebäudes, das eines Tages die gut ausgestattete Villa eines Höflings sein wird. Zurzeit besteht es allerdings nur aus halbhohen Ziegelmauern und Schächten, die im Dunkeln kaum zu sehen sind. Angestrengt suche ich nach dem Flüchtigen, kann ihn aber nirgends entdecken.
    Die Außenmauer scheint das ganze Grundstück zu umschließen. Es muss jedoch irgendwo einen Ausgang geben. Ich folge dem Mauerverlauf und spähe in die Dunkelheit, an die sich meine Augen allmählich gewöhnen. Ich mache immer mehr Konturen aus, die für mich alle, sei es ein Balken, eine Säule oder ein Mauervorsprung, die Umrisse eines Mannes annehmen. Wenn ich den Ausgang als Erster erreiche, werde ich ihn vielleicht stellen können.
    Ich eile weiter und taste mit der Hand an den Mauerziegeln entlang, bis sie auf raues Holz, ein Scharnier und einen Riegel trifft. Das Tor. Ich werfe mich dagegen, doch es bewegt sich nicht. Die Bauarbeiter haben es offenbar von außen verschlossen, als sie gegangen sind.
    Die flüchtige Gestalt kann diesen Ausgang nicht genommen haben, und wenn sie wieder über die Mauer gestiegen wäre, hätte ich es gehört. Das heißt, sie steckt in der Falle wie ein Gladiator in der Arena.
    Und ich halte Alexanders Dokumentenkoffer in der Hand. Ich entferne mich vom Tor, setze den Koffer hinter einer kniehohen Ziegelwand in einem Graben ab und werfe lose Erde darüber. Jedes Geräusch spielt mit meiner Furcht, die es verzerrt, bis ich nicht mehr weiß, was ich höre. Vielleicht irre ich mich, vielleicht ist er längst fort, und wenn es Tag wird, hocke ich immer noch allein hier im Schmutz.
    Ich kann die Stille nicht länger ertragen.
    «Wo bist du?»
    Keine Antwort. Die Dunkelheit schluckt meine Worte.
    «Wer bist du?»
    Nichts.
    «Hast du Alexander getötet?»
    Ich höre ein Knirschen zu meiner Rechten, das Geräusch

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