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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Schädel mit den leeren Augenhöhlen und die wächsern aussehenden Knochen auf dem Edelstahltisch.
    Sanchez schaute sie an. «Schätze, Sie haben’s gesehen. Wir haben es in eine Plane gewickelt und rausgeschafft, vor den Augen des Wachsoldaten. Michael wollte auch den Sargdeckel mitnehmen, aber das ging beim besten Willen nicht. Er machte dann noch ein paar Fotos von den Wandgemälden und der Vase –»
    «Der was?»
    «Vase.» Er sprach das Wort amerikanisch aus. «Eine Art Flasche aus Ton, in die schätzungsweise ein Liter Malt gepasst hätte. Sie lag neben dem Skelett im Sarg, versiegelt mit Wachs oder so.»
    «Hat Michael sie geöffnet?»
    «Nicht dass ich es gesehen hätte. Wir waren ziemlich schnell wieder draußen. Der Norweger sprach in sein Funkgerät, und Michael wurde nervös. Wir packten das Skelett in den Kofferraum und zischten ab. Wie in Good Fellas .»
    Sanchez nahm seine Kappe ab und drehte sie in den Händen. Abby konnte zum ersten Mal seine Augen sehen, zwei helle Punkte in der Dunkelheit.
    «So war’s. Ich habe nur getan, was er wollte, und mir nichts weiter dabei gedacht, schon gar nicht, dass noch was hinterherkommen könnte.»
    Das kann ich dir nachempfinden , dachte Abby. Wir sitzen im selben Boot.
    «Hat Michael nicht durchblicken lassen, was ihn an diesem Fund so interessierte?», wollte Jessop wissen.
    «Er sprach die ganze Zeit darüber, ohne viel zu sagen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich habe ihn gefragt, was das Ganze soll, und er sagte, die Sache sei reine Routine.»
    «Sie haben ihm nicht geglaubt.»
    «Was soll’s. Knochen ins Leichenschauhaus zu bringen verstößt nicht gegen die Genfer Konvention, erst recht nicht, wenn sie ein paar hundert Jahre alt sind. Wie gesagt, ich habe nur getan, was von mir verlangt wurde. Irgendein toter Römer ist nicht mein Problem.»
    Abby merkte auf. «Wie kommen Sie auf Römer? Hat Michael eine solche Bemerkung fallen lassen?»
    «Kann sein. Ich erinnere mich nicht. Aber ich bin Katholik und war in etlichen Kirchen. Ich weiß, dass die Inschrift lateinisch ist.»
    «Welche Inschrift?»
    «Die auf dem Sarg.»

[zur Inhaltsübersicht]
    24
    Konstantinopel – April 337
    Irgendwo in diesem Palast wird ein Mann gefoltert. Was eigentlich nicht sein dürfte. Das Gesetz verbietet Folter und gilt selbst für Sklaven. Es lässt nur eine Ausnahme zu: Hochverrat. Was den Tatbestand des Hochverrats erfüllt, ist natürlich Ermessenssache, über die entscheidet, wer die Macht dazu hat. Aber auch diese Entscheidung braucht Zeit. Man muss einen Richter auftreiben, ihn womöglich aus dem Bett holen, damit er die Ausnahme genehmigt und einen entsprechenden Bescheid formuliert, der dann von dem zuständigen Sachbearbeiter im Kanzleigericht mit dem korrekten Siegel versehen wird – und all das, bevor die Daumenschraube eine erste Umdrehung nehmen kann.
    Jemand meint es offenbar sehr ernst.
    Ich sollte mir eigentlich Notizen machen, besorge mir aber stattdessen so viele Lampen, wie ich auftreiben kann, und schließe mich mit Alexanders Dokumentenkoffer in einer Abstellkammer ein. Ich verstehe das, was an diesem Abend passiert ist, nicht, gebe mich aber keinen Illusionen hin, was unsere verkommene Justiz betrifft, und ahne, dass manche Fragen, die gerade im Kerker gestellt werden, mit den Pergamenten zu tun haben, die ich in der Hand halte. Es wird nicht lange dauern, und irgendjemand erinnert sich, dass ich den Koffer mit in den Palast gebracht habe.
    Ich habe viel Arbeit vor mir, Pergamentbögen unterschiedlicher Größe, beschrieben mit verschiedenen Tinten, von verschiedenen Händen, meist griechisch, aber auch in Latein. Auf Letzteres lege ich mein Hauptaugenmerk, aber die Texte sind schwer zu lesen, wenn man nicht weiß, wonach man sucht. Es handelt sich zum Teil um Briefe oder Notizen aus den kaiserlichen Archiven. Andere Texte scheinen Exzerpte aus Büchern zu sein. Ein gemeinsamer Nenner will sich mir nicht erschließen.
    Da wäre zum Beispiel folgender Eintrag:
An den Imperator Konstantin Augustus, von Caesar Crispus. Ein heftiges Unwetter verzögerte unsere Vorbereitungen. Drei Schiffe kamen zu Schaden, doch die Flotte kann jetzt auslaufen, und wir werden morgen in See stechen.
    Oder ein Gedicht:
Die Lebenden erreicht, wer die Toten navigiert.
    Ein drittes:
XII/Π Ich schreibe, um mein tiefempfundenes Beileid zum Tod deines Enkelsohnes zum Ausdruck zu bringen.
    Ich muss niesen, so heftig, dass ein paar Blätter von meinem provisorischen Tisch

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