Die Geheimnisse der Toten
den knochigen Schultern zu rutschen droht. «Nein.»
«Er gehörte Bischof Alexander. Nach einem Treffen mit Valerius am heutigen Abend hat einer deiner Sklaven versucht, diesen Koffer loszuwerden. Dabei wurde er erwischt.»
«Er lügt.»
«Er hat unter Folter ausgesagt, dass du es von ihm verlangt hast.»
«Dann wär’s wohl ratsam gewesen, ihn nicht zu foltern.»
Er verrät jetzt einen Anflug von Wut, was ihm nicht gut zu Gesicht steht.
«Du hattest weniger Skrupel, als du noch Christen in der Hand hattest», spuckt Eusebius aus, der aus seinen Rachegelüsten kein Hehl macht. «Als Christenhasser warst du berüchtigt wie kaum ein Zweiter, und trotzdem hat der Augustus Konstantin ausgerechnet dir vergeben, während er den Erzverfolgern Galerius und Licinius das Handwerk legte. Als du aber Alexander von Cyrene in der Bibliothek vor dir sahst, hat deine gewalttätige Natur wieder überhandgenommen. Du hast ihn mit der Büste deines falschen Ideologen Hierocles erschlagen.»
Symmachus verzichtet auf theatralische Versuche zu leugnen und fällt nicht vor dem Herrscher auf die Knie. Ihm ist klar, dass man ihn nicht mitten in der Nacht vor einen heimlich einberufenen Gerichtshof zitiert hat, um ihm Gelegenheit zu bieten, seine Unschuld zu beweisen. Als Antwort auf Eusebius’ Vorwurf schüttelt er nur den Kopf und sagt mit fester Stimme: «Nein.»
«Vielleicht hast du es einfach nur getan, weil er Christ war. Aber vielleicht steckt auch mehr dahinter. Ich schätze, du konntest ihm nie verzeihen, dass er dir in deinem eigenen Kerker die Stirn geboten und dich bezwungen hat. Dafür hasstest du ihn.»
«Ich habe ihn seines Mutes wegen respektiert. Verachtet habe ich die Männer, die umgekippt sind. Männer wie …» Er überlegt. «Wie Asterius.»
«Genug!» Eusebius scheint selbst überrascht von der Heftigkeit seiner Reaktion. Vielleicht denkt er an die verstümmelten Arme seines Freundes und an das harte Urteil, das er für den Verrat seines Glaubens entgegennehmen musste. Er holt tief Luft und wendet sich an Konstantin.
«Herr, es gibt keine anderen Zeugen der tragischen Todesumstände Alexanders. Was geschehen ist, sah nur sein Mörder.» Er zeigt mit ausgestrecktem Arm auf Symmachus. «Dieser Mann. Er hat ihn nicht nur auf die barbarischste Weise getötet, die man sich vorstellen kann, sondern ihm auch noch seine Schriften geraubt. Fragt sich nur, warum. Vielleicht dachte er, Alexanders Wissen gegen die Kirche verwenden zu können. Aber als ihm Gaius Valerius auf die Schliche kam, geriet er in Panik. Er fürchtete, der Koffer könnte bei ihm gefunden werden. Also ließ er ihn von seinem Sklaven wegschaffen.»
«Lügen, nichts als Lügen.»
Mir schwirrt der Kopf von der eigenwilligen Wiedergabe meiner Ermittlungsergebnisse. Ich werfe einen Blick auf Konstantin. Sein Gesicht ist so blank wie Glas, doch ich sehe seine Augen in meine Richtung flackern.
Willst du einen Sündenbock, oder soll ich den wahren Täter ausfindig machen?
Ich glaube nichts von dem, was ich höre. Wenn Symmachus den Koffer verschwinden lassen wollte, warum hat er ihn dann nicht ins Hafenbecken geworfen oder verbrannt? Warum hätte er einen Sklaven den Koffer ausgerechnet an die Stelle bringen lassen sollen, an der er allabendlich auf seinem Spaziergang vorbeikommt? Irgendjemand will Symmachus ans Messer liefern. Wer?
Konstantin beobachtet mich immer noch. Und Symmachus tut dies auch. Ist das meine Chance, einen Unschuldigen zu retten? Seit fünf Tagen ermittele ich in diesem Fall, doch jetzt, da so plötzlich darüber verhandelt wird, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Mir fehlt mein Text für dieses Theaterstück. Ich bin nur ein Komparse, ein stumpfes Werkzeug, dessen sich andere bedienen. In dieser Hinsicht stehe ich da wie Symmachus.
Der kaiserliche Blick wandert weiter. Symmachus schaut fort. Ihm schwindet alle Hoffnung. Er straft mich mit Verachtung.
Konstantin sagt ein einziges Wort:
«Deportatio.»
Exil. Symmachus verliert allen Besitz, seine Bürgerschaft, seine Familie und seine Rechte. Dem Gesetz nach hört er auf zu existieren.
Er schließt die Augen und zittert am ganzen Körper. Aufrecht hält ihn nur noch sein Stolz. Ich erinnere mich an das, was Porfyrius über ihn gesagt hat. Er ist Stoiker. Nichts kann ihn erschüttern. Aber dass ihm seine Philosophie jetzt noch hilft, glaube ich nicht.
«Was soll mit dem Koffer geschehen, Augustus?», fragt Eusebius.
«Verbrennen.»
Die Wachen führen Symmachus fort.
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