Die Geheimnisse der Toten
flattern. Die Kammer ist voller Staub. An der Wand lehnt ein Dutzend behauener Steinplatten, von denen jede einzelne wohl so viel wiegt wie ein Pferd. Sie warten darauf, in eines von Konstantins neuen Monumenten eingebaut zu werden. Meine Beine stoßen an Marmorsoldaten, erstarrt in der Schlacht.
Ich nehme ein weiteres Fragment zur Hand. Die Lampen zischen und flackern. Meine Augen werden müde, weil sie an die Anstrengung des Lesens nicht gewöhnt sind. Plötzlich springt mir von einem Blatt mein eigener Name entgegen.
Auf Befehl des Augustus sind seinem Bevollmächtigten Gaius Valerius Maximus sämtliche Quellen der kaiserlichen Post zur Verfügung zu stellen; ferner ist dafür Sorge zu tragen, dass er möglichst schnell nach Pula gelangt.
Da ist noch ein Datum vermerkt, aber ich brauche nicht hinzuschauen. Es wird dunkel um mich herum. Anscheinend ist eine der Lampen ausgegangen. Ich lege das Blatt auf den Tisch zurück und lehne mich an die Marmortafel.
Was hatte Alexander damit zu tun?
Die Tür fliegt auf. Ein Luftstoß wirbelt die Pergamente durcheinander; eines landet auf einer Lampe und fängt Feuer. Ich versuche, die Flammen zu löschen, stelle mich aber ungeschickt dabei an. Simeon eilt herbei, wirft das brennende Blatt auf den Boden und stampft darauf herum, bevor das Feuer um sich greifen kann.
«Sie wollen dich sehen.»
Er sammelt die Unterlagen ein und steckt sie in die Tasche. Als wir uns kennenlernten, hätte ich ihn des Mordes anklagen können. Jetzt bleibt mir nur noch, ihm zu folgen. Zwei Wachen der Schola eskortieren uns durch Flure und leere, dunkle Hallen, wo sich vor golden schimmerndem Hintergrund schwarze Skulpturen abzeichnen. Wir gehen durch baumbepflanzte Höfe, in denen Sklaven abgefallene Blüten zusammenfegten, und erreichen schließlich die Empfangshalle, in der mir Konstantin vor fünf Tagen den Auftrag gab, Alexanders Mörder zu stellen.
Jetzt haben wir Publikum: Eusebius, der trotz der späten Stunde eine schmuckvoll bestickte Robe trägt; Flavius Ursus in voller Rüstung; Ablabius, der Prätorianerpräfekt, und die beiden Konsuln Felicianus und Titianus. Und natürlich Konstantin höchstselbst auf seinem Elfenbeinthron, so schwer mit Juwelen und Gold behängt, dass man den Mann darunter kaum sieht. Perlenbänder hängen von der Krone herab und fallen wie Tränen über seine Wangen.
Trotz aller Zurschaustellung von Macht wirkt die Versammlung verstohlen und geheimnisvoll. Die großen Kerzenleuchter werfen einen Lichtkreis um den Thron, der aber nicht weit reicht. Der größte Teil des Saales liegt im Dunkeln, das voller Vorwürfe zu sein scheint.
«Gaius Valerius Maximus.» Endlich einmal grüßt mich Eusebius ohne verächtlichen Ton. «Du hast vorzügliche Arbeit geleistet. Der Augustus tat gut daran, sein Vertrauen in dich zu setzen.»
Bevor ich auf dieses unerwünschte Kompliment reagieren kann, öffnet sich die Tür abermals. Vier Wachen bringen Symmachus herein. Anders als vor wenigen Stunden, da ich ihn das letzte Mal gesehen habe, trägt er nun seine mit einer violetten Bordüre verzierte Toga. Er war offenbar in Eile, als er sich umgezogen hat. Der Saum und die Falten hängen schief. Seine Haare sind durcheinander und klebrig wie bei einem räudigen Hund, mit dem es zu Ende geht.
Eusebius tritt als Ankläger vor.
«Aurelius Symmachus, dir wird der Mord an seiner Heiligkeit, dem Bischof Alexander von Cyrene, vorgeworfen.»
Symmachus scheint überrumpelt, obwohl er etwas geahnt haben muss. Er hält sich an seinem Krückstock fest wie ein Ertrinkender am sprichwörtlichen Strohhalm.
«Du warst zur Tatzeit in der Bibliothek.»
Symmachus nickt.
«Dass Alexander dort war, wusstest du.»
Es scheint, dass er dies bestreiten will, er besinnt sich aber eines Besseren. Er will es Eusebius so leicht nicht machen.
«Heute Abend warst du in der Nähe der Venusstatue. Gaius Valerius hat dich dort gesehen.»
Niemand will dies von mir bestätigt wissen. Symmachus aber hat etwas zu sagen.
«Ich gehe dort jeden Abend spazieren. Jeder, der mich kennt, weiß, wo ich zu dieser Uhrzeit anzutreffen bin.»
Simeon hat immer noch den Dokumentenkoffer in der Hand. Eusebius nimmt ihn an sich und hält ihn in die Höhe. Symmachus verzieht das Gesicht. Ob er den Koffer erkennt oder nicht, kann ich seiner Miene trotzdem nicht ansehen. Aber vielleicht bin ich zu großzügig. Ich will an seine Unschuld glauben.
«Kennst du diesen Koffer?»
Symmachus zupft an seiner Toga, die ihm von
Weitere Kostenlose Bücher