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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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groß für seinen Anzug zu sein. Doch anders als sein eher nüchtern gekleideter Kollege sah dieser Mann aus wie ein Geck. Und zwar wie ein ziemlich übergewichtiger. Fettwülste quollen unter den auffälligen Samtmanschetten hervor, und über dem gerüschten Seidenkragen erhob sich eine beachtliche Anzahl von Kinnen. Der rote Kummerbund, den er fest um seine gewaltige Taille geschnürt hatte, machte den Eindruck, als würde er jeden Moment platzen.
    Er würdigte Avi und Hannah kaum eines Blicks. Stattdessen wanderten die Augen des dicken Mannes sofort zu dem Rollwagen, und er klatschte in die Hände. Eine Wolke weißen Puders stieg auf, so dass Avi ein Niesen unterdrücken musste.
    »Aha!«, rief der Mann. »Genau, was der Arzt mir verordnet hat! Bitte sagt mir, meine lieben dienstbaren Geister, habt ihr mir mein Lieblingsgericht mitgebracht? Oder ist es wieder Schwanenklein?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, riss er das Tuch von dem Rollwagen. Beim Anblick des zerknitterten Müllbeutels trat sein linkes Auge hervor, ein Vorgang, der von dem goldgerahmten Monokel noch drastisch vergrößert wurde. Sein rechtes Auge hingegen begann zu tränen.
    »Was hat das zu bedeuten?«, rief er und schwenkte das Tuch wie ein Torero, der einen Stier herausfordern will. Dann musterte er Avi. »Und wer seid ihr beiden …?« Roosevelts Stimme erstarb, als sein Kiefer auf das erste seiner vielen Kinne hinabsank. Das Monokel fiel ihm aus dem Auge.
    Im nächsten Moment verdrehte er die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war, kippte auf der Türschwelle nach hinten und landete auf dem Boden, und zwar mit einem gewaltigen Knall, der, wie Avi dachte, sicher das Hotel in seinen Grundfesten erschüttert hatte. Schnaufend wie ein Pferd lag Roosevelt da und war offensichtlich bewusstlos.
    Hannah wandte sich an Avi. »Er scheint dich jedenfalls zu kennen.«

Kapitel 8
    H annah fiel auch für dieses Problem eine Lösung ein. Sie hastete in die Suite und kehrte kurz darauf mit einem Strauß Osterglocken und einer leeren Blumenvase zurück.
    Als Avi ihr die Vase abnahm, stellte er fest, dass sie ganz und gar nicht leer war.
    »Bist du sicher?«, fragte er und betrachtete den besinnungslosen Roosevelt.
    »Im Film klappt das immer.«
    Dennoch zögerte Avi. Goblins verabscheuen Wasser, sagte er sich. Aber Roosevelt war kein Goblin, oder?
    Er drehte die Vase um, so dass das Wasser Roosevelt direkt ins Gesicht traf. Sofort kam er wieder zu sich, setzte sich ruckartig auf und hustete.
    »Was bei allen Reichen bildest du dir ein?«, brüllte er. Dann jedoch fiel sein Blick auf Avi, und seine Stimme erstarb. Er nahm das Monokel, trocknete es mit seiner riesigen Manschette ab und setzte es wieder ein. »Avi, bist du es wirklich?«, fragte er erstaunt.
    »Ja«, erwiderte der. »Ich bin es.«

    Roosevelt führte sie in der Präsidentensuite herum. Avi folgte ihm zwar gehorsam, platzte jedoch fast vor Ungeduld. Er brauchte Antworten, und zwar sofort.
    Hannah hingegen dachte eher pragmatisch.
    »Hat jemand was dagegen, wenn ich den richtigen Zimmerservice anrufe?«, meinte sie und schwenkte eine Broschüre. »Ich verhungere.«
    Als Avi das hörte, bekam er ebenfalls Magenknurren.
    »Nur zu, junges Fräulein«, sagte Roosevelt.
    Während Hannah telefonierte, zeigte er Avi weiter die Wohnung.
    »Ach«, seufzte er und wies auf den eleganten Schreibtisch aus Walnussholz, an dem er seine Korrespondenz erledigte. »Ich wohne nun schon so lange hier, dass ich den Überblick über die Jahre verloren habe. Doch dieses Reich war gut zu mir, und seine Bewohner sind meinem Charme erlegen.«
    »Also wohnst du in einem Hotel?«, wunderte sich Avi.
    Roosevelt wirbelte herum. Trotz seines Gewichts war er ziemlich leichtfüßig. »Ja, in der Tat. Wenn man mir ein Talent zuschreiben kann, dann ist es die Fähigkeit zu überzeugen. Die Leitung dieses wundervollen Etablissements ist überzeugt davon, dass ich hierher gehöre. Die Besitzer der Restaurants, in denen ich diniere, sind überzeugt, dass nur das Beste von ihrer Speisekarte gut genug für mich ist. Die wohlhabenden Menschenfreunde, denen ich regelmäßig schreibe, sind überzeugt, dass ich ein würdiger Teilhaber an ihren Reichtümern bin.«
    »Also bist du ein Betrüger«, meldete sich Hannah zu Wort.
    Roosevelt runzelte die Stirn. »So eine vulgäre Ausdrucksweise. Ich möchte euch beiden versichern, dass meine Mission in diesem Reich über derartige Banalitäten erhaben ist. Denn ich bin stolz, verkünden zu

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