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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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näher, und auf dem Bahnsteig schreit eine Frau …

    Avi knallte das Buch zu.
    Es ist so lebhaft!
    Er spuckte ins Gras und hatte einen metallischen Geschmack im Mund. Den Geschmack der Angst.
    Mit zitternden Händen schlug er das Buch wieder auf und blätterte ein paar Seiten zurück. Sich dieser ganz bestimmten Erinnerung zu stellen, war er noch nicht bereit.
    Außerdem ist der Zweck dieser Veranstaltung doch, mir meine Vergangenheit anzusehen. Wie soll ich sonst herausfinden, woher ich komme?
    Er legte sich das Buch auf die Knie und las weiter.

    Ich wache aus einem tiefen Schlaf auf. Die Matratze fühlt sich noch klumpiger an als sonst. Unten singen die Clutterbuck-Zwillinge Seemannslieder. Bestimmt sind sie wieder betrunken. Jeden Tag ziehen mehr Leute in dieses verdammte besetzte Haus ein, und es wird immer schmutziger. Die Sache hat nur ein Gutes: Er weiß nicht, dass ich hier bin.
    Es zieht. Jemand hat ein Fenster offen gelassen. Aus dem Pub nebenan höre ich Musik. Ich überlege, ob ich das Fenster zumachen soll, als eine orangefarbene Katze auf dem Fensterbrett erscheint. Sie beobachtet mich einen Moment und springt dann ins Zimmer.
    »Hast du dich verlaufen, Kätzchen?«, frage ich. Die Katze rollt sich am Fußende meiner Matratze zusammen und fängt an zu schnurren.
    Da mir die Zugluft zu kalt wird, beschließe ich, das Fenster zuzumachen. Auf meinem Weg durchs Zimmer knarren die Dielenbretter. Gerade ziehe ich die Scheibe nach unten, als etwas hereingeflogen kommt, und zwar so schnell, dass ich es nur verschwommen wahrnehme. Es landet mit einem leisen Plumps auf dem Boden, wo es sich jammernd wälzt. Dann saust es hektisch um meinen Kopf herum. Als es endlich genau vor meinem Gesicht schwebt, erkenne ich, was es ist: eine Elfe.
    Die Elfe ist ein Mädchen etwa in meinem Alter, allerdings nur so groß wie mein Unterarm lang. Sie trägt ein kurzes Kleidchen aus winzigen blauen Blättern. Ihre Flügel kann ich kaum sehen, weil sie sich so schnell bewegen. Sie hat spitze Ohren, aber keine Nase. Auf dem Kopf trägt sie einen großen Becher aus einer Eichel.
    Ihr freundliches Gesicht mit den mandelförmigen Augen kommt mir bekannt vor.
    »Hallo, Brucie«, begrüße ich sie. »Hast du Neuigkeiten?«
    Brucie ist eine Wahrheitselfe. Das heißt, dass sie unfähig ist zu lügen. Das ist ein Vorteil, wenn man jemanden braucht, dem man trauen kann. Der Nachteil besteht darin, dass sie einem häufig Dinge sagt, die man lieber nicht hören will.
    Wie jetzt zum Beispiel.
    »Kellen!«, keucht Brucie. »Er kommt! Du musst dich verstecken, Avi! Schnell! Gleich ist er hier!«
    Mein Mund wird ganz trocken, und ich renne panisch zur Tür. »Keine Zeit!«, kreischt Brucie. »Er kommt!«
    Im nächsten Moment rieche ich ihn, den ekligen Goblin-Gestank, den er verbreitet. Den Geruch nach Höhlen und Moder.
    »Was ist mit dir?«, frage ich. »Ist er jetzt nicht auch hinter dir her?«
    Brucie zeigt auf eine offene Schublade. »Sperr mich dort ein. Du versteckst dich im Schrank.«
    Sie schwebt über meinen Kopf hinweg in die Schublade. Ich knalle sie zu, schließe ab und mache einen Satz in den Schrank. Schon höre ich, wie jemand draußen die Feuerleiter heraufsteigt. Ich kauere mich in die Ecke und ziehe die Tür zu. Ganz schließen lässt sie sich nicht, weil sie innen keinen Griff hat. Durch den verbliebenen Spalt kann ich eine Ecke des Fensters beobachten.
    Ich warte und halte den Atem an.
    Eine dreifingrige Hand erscheint am Fensterbrett, hält sich fest, und dann klettert Kellen ins Zimmer. Er bückt sich, um die Katze zu streicheln, die sich an seine Beine schmiegt. Nachdem er ihr etwas ins Ohr geflüstert hat, springt sie aus dem Fenster in die Nacht hinaus.
    Kellen nähert sich dem Schrank. Seine Gewänder verdüstern das Licht, das durch den Spalt hineinfällt. Ich würde so gerne Luft holen, wage es aber nicht. Meine Kehle brennt.
    Ich sehe, wie er die Hand nach dem Türgriff ausstreckt.
    Von unten ist Gepolter zu hören. Die Clutterbuck-Zwillinge singen nicht mehr, sondern brüllen einander an.
    Kellens Hand hält inne und zieht sich zurück. Mit wild flatternden Gewändern hastet er zur Tür, um festzustellen, was das für ein Radau ist. Ich zähle bis zehn und öffne dann langsam die Schranktür.
    Das Zimmer ist leer. Kellen ist fort.
    Ich schleiche zur Kommode und will gerade die Schublade öffnen, als ich auf eines der quietschenden Dielenbretter trete. Im selben Moment hören die Zwillinge auf herumzuschreien. Ich

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