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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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frage mich, ob Kellen sie überrascht hat.
    In der Stille klingt das Knarren des Dielenbretts sehr laut.
    Von unten hallt ein entsetzliches Gebrüll herauf, gefolgt von polternden Schritten. Kellen!
    Ich springe aus dem Fenster und lande unsanft auf der Feuerleiter. Kellen stürmt zum Fenster. Er verfolgt mich, doch ich laufe bereits in die dunkle Londoner Nacht hinaus …

    Nach Atem ringend warf Avi das Buch ins Gras. Sein Kopf fühlte sich an wie mit feuchtem Stroh ausgestopft, und seine Nebenhöhlen pochten. Als er seine Nase berührte, hatte er Blut an den Fingern.
    Das Haus mit den Obdachlosen! Natürlich! Dort hatte er gewohnt, um sich vor Kellen zu verstecken. Und Brucie hatte ihn warnen wollen.
    Brucie!
    Schattenhafte Erinnerungen vibrierten in seinem Schädel. Brucie, seine Freundin und Ratgeberin. Sie hatte ihn gerettet.
    Und er hatte sie nicht befreit! In der Nacht, in der Kellen ihn endlich aufgespürt hatte. In derselben Nacht war Avi auf der Flucht vor ihm durch halb London gerannt und hatte sich schließlich aus Verzweiflung vor eine U-Bahn geworfen. Und währenddessen hatte er eine wahre Freundin, eingesperrt in einer Kommodenschublade in einem schmutzigen besetzten Haus in der Nähe der Victoria Station, zurückgelassen.
    Vielleicht ist sie noch dort.
    Zögernd griff er wieder nach seinem Erinnerungsbuch, das sich beim Fall auf den Boden geschlossen hatte. Dennoch spürte er, dass eine Macht darin klopfte wie ein hungriges Herz. Aber er hatte für den Moment genug gelesen. McNemosyne hatte ihn vor Verdauungsstörungen gewarnt. Er hatte eher Sorge, der Schädel könnte ihm platzen.
    Auf der anderen Seite des Beckens läutete ein Telefon, ein Geräusch, das gar nicht hierherzupassen schien. Als Avi aufstand, sah er, dass Roosevelt ein Mobiltelefon aus der Tasche zog.
    »Ich dachte, in dieser Tiefe hätten die verdammten Dinger keinen Empfang«, schimpfte McNemosyne und zündete sich wieder eine Zigarette an.
    Mit argwöhnischem Blick nahm Roosevelt den Anruf an. Beim Zuhören zog er die Augenbrauen zusammen.
    »Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum er Lust haben sollte, mit dir zu reden«, sagte er schließlich und lauschte erneut. »Ich dulde es nicht, dass eine Sterbliche so mit mir spricht.«
    Hannah! Avi steckte das Buch ein und rannte zu Roosevelt hinüber.
    »Kann ich das Telefon haben?«
    »Mein lieber Junge«, erwiderte Roosevelt und bedeckte das Telefon mit seiner riesigen Hand. »Ich halte es wirklich nicht für ratsam …«
    »Gib mir bitte einfach das Telefon!«
    Roosevelt warf McNemosyne einen hilfesuchenden Blick zu, doch die Erinnerungsmuse zuckte nur mit den Achseln und pustete ihm Rauch ins Gesicht. Vor sich hin brummelnd reichte Roosevelt Avi das Telefon.
    »Hannah, bist du es?«, fragte Avi.
    »Du solltest dir einen freundlicheren Telefonisten zulegen«, erklang ihre Stimme.
    »Woher hast du diese Nummer?«, erkundigte er sich.
    »Von Roosevelts Visitenkarte. Schließlich bin ich kein hübsches Dummchen. Wo steckst du?«
    Avi schaute sich um. McNemosyne hatte sich über ihren Schreibtisch gebeugt und zum Arbeiten an einem Manuskript ihre seltsame Brille abgenommen, weshalb die schwarzen Steinmauern wieder näher gerückt waren. Er befand sich nicht mehr im märchenhaften Palast der Erinnerung, sondern in der feuchtkalten Gruft.
    »In der Bibliothek«, antwortete er. »Bist du noch sauer?«
    »Ich hab’s überstanden. Jetzt ist mir einfach nur langweilig. Hier stehe ich, mitten in London und noch dazu an einem wunderschönen Sommertag, und weiß nichts mit mir anzufangen.«
    Sie will mich wiedersehen.
    »Was, es gibt in London nichts zu tun?«, hänselte er sie.
    »Nein«, entgegnete Hannah kühl. »Also habe ich mir gedacht, es wäre ja nett, mich mit dir zu treffen.«
    Avi konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ist deine Mutter schon untersucht worden?«
    »Ja, und es ist alles bestens, Avi. Ein Wunder ist geschehen. Sie wird wieder gesund.«
    »Das ist ja phantastisch.«
    Es war so schön, wieder mit Hannah zu sprechen. Ihre Stimme war so wirklich und so normal.
    »Und was hast du vor, wenn du in der Bibliothek fertig bist?«, erkundigte sie sich.
    Roosevelt näherte sich, zog eine riesige Taschenuhr aus einer seiner vielen Taschen und tippte darauf, einen ungeduldigen Ausdruck auf dem pausbäckigen Gesicht.
    »Nun, ich muss noch etwas erledigen. Die Sache ist, Hannah, dass mir wieder ein paar Sachen eingefallen sind.«
    »Wirklich? Spitze!«
    »Und eines dieser

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