Die geheimnißvolle Insel
so weit an den Strand geschoben, daß es bei der Fluth flott werden mußte, was denn auch unter dem Jubelrufe der Ansiedler geschah, und vorzüglich war es Pencroff, der bei dieser Gelegenheit keinen Mangel an Bescheidenheit sehen ließ. Sein Stolz sollte auch die Vollendung des Schiffes überdauern, da er nun zum rechtmäßigen Commandanten desselben ernannt wurde. Unter allseitiger Zustimmung ertheilte man ihm den Charakter des Kapitäns.
Um den Kapitän Pencroff zu befriedigen, mußte nun das neue Schiff zuerst getauft werden; nach langem Hin-und Herreden einigte man sich denn in dem Namen »Bonadventure«, dem Vornamen des ehrlichen Seemannes.
Sobald der Bonadventure von der Fluth erfaßt worden war, konnte man sich überzeugen, wie gut er sich in seiner Wasserlinie hielt und daß er unter jeden Verhältnissen ein tüchtiger Segler sein werde.
Uebrigens sollte noch denselben Tag ein Versuch durch eine Probefahrt nach der offenen See hinaus angestellt werden. Das Wetter war schön, die Brise frisch und das Meer leicht zu befahren, vorzüglich an der Südküste, da der Wind schon seit einer Stunde aus Nordosten wehte.
»Einschiffen! Einschiffen!« rief Kapitän Pencroff.
Vorher mußte man aber wohl noch frühstücken und auch einige Nahrungsmittel an Bord nehmen, für den Fall einer Ausdehnung des Ausfluges bis zum Abend.
Cyrus Smith trieb es wohl ebenso, dieses Fahrzeug zu erproben, zu dem die Pläne von ihm herrührten, obwohl er manchmal das und jenes nach dem Rathe des Seemannes abgeändert hatte; – aber er wiegte sich nicht in demselben Vertrauen wie Pencroff, und da Dieser von der Reise nach der Insel Tabor nicht mehr gesprochen hatte, so gab sich Cyrus Smith der Hoffnung hin, daß Jener dieselbe überhaupt aufgegeben habe. Er wollte auch bei seinem Widerspruche bleiben, zwei oder drei seiner Genossen dieser winzigen, kaum fünfzehn Tonnen haltenden Barke für eine so weite Fahrt anzuvertrauen.’
Um halb elf Uhr war alle Welt an Bord, selbst Jup und Top inbegriffen. Nab und Harbert lichteten den im Sande liegenden Anker, die Brigantine wurde gehißt, die Lincolner Flagge entfaltete sich am Maste, und der von Pencroff geführte Bonadventure stach in See.
Um aus der Unions-Bai herauszukommen, mußte man zuerst den Wind von rückwärts nehmen, und überzeugte sich, daß das Schiff hierbei recht schnell segelte.
Nach Umschiffung der Seetriftspitze und des Krallen-Caps hielt sich Pencroff dicht am Winde, um längs der Inselküste hinzufahren, und nachdem er so einige Kabellängen zurückgelegt hatte, constatirte er, daß der Bonadventure der Abweichung noch bei fünf Strich am Winde recht leidlich widerstand. Er lavirte sehr gut gegen den Wind, hatte, wie die Seeleute sagen, »Strich« und kam dabei ziemlich schnell vorwärts.
Die Passagiere des Bonadventure waren ganz entzückt; sie besaßen ein schönes Fahrzeug, das ihnen gegebenen Falles ersprießliche Dienste leisten konnte, und bei diesem herrlichen Wetter, wie dem günstigen Winde, fanden sie die Promenade höchst ergötzlich.
Pencroff segelte dem Ballonhafen gegenüber drei bis vier Meilen in die hohe See hinaus. Die Insel zeigte sich von hier aus in ihrer ganzen Ausdehnung und unter einem neuen Gesichtspunkte mit dem wechselnden Panorama der Küste vom Krallen-Cap bis zum Schlangen-Vorgebirge, ihren Außenwäldern, in denen die Coniferen charakteristisch von den andern kaum knospenden Bäumen abstachen, und dem Franklin-Berge, der das Gesammtbild beherrschte und auf dessen Spitze noch blendende Schneeflächen lagerten.
»Wie schön ist das! rief Harbert.
– Ja, unsere Insel ist schön und gut, antwortete Pencroff; ich liebe sie, wie meine arme Mutter! Sie hat uns arm und hilflos aufgenommen, und was fehlt den fünf ihr vom Himmel gefallenen Kindern wohl jetzt?
– Nichts! betheuerte Nab, nichts, Kapitän!«
Und die beiden wackeren Leute ließen zu Ehren ihrer Insel drei kräftige Hurrahs erschallen.
Inzwischen lehnte Gedeon Spilett am Fuße des Mastes und zeichnete das Panorama, das sich vor seinen Augen entrollte.
Schweigend sah Cyrus Smith ihm zu.
»Nun, Herr Cyrus, fragte ihn da Pencroff, was sagen Sie zu unserem Schiffe?
– Es scheint sich gut zu halten, antwortete der Ingenieur.
– Gut, und glauben Sie nun auch, daß man mit ihm selbst eine Reise von einiger Dauer unternehmen könne?
– Welche Reise, Pencroff?
– Zum Beispiel die nach der Insel Tabor?
– Guter Freund, erwiderte Cyrus Smith, ich bin der Meinung, daß
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