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Die geheimnißvolle Insel

Die geheimnißvolle Insel

Titel: Die geheimnißvolle Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ersten Stunden des Tages blieb der Bonadventure beständig in Sicht der Südküste der Insel Lincoln, welche sich bald nur noch in Form eines grünen Korbes, überragt vom Franklin-Berge, darstellte. Die in Folge der Entfernung verminderten Höhen verliehen ihr ein Aussehen, welches Schiffe wohl zu dem Wunsche verleiten konnte, an derselben zu landen.
    Gegen ein Uhr passirte man, aber etwa zehn Meilen von der Küste, das Schlangen-Vorgebirge. Aus dieser Entfernung waren die Einzelheiten der Westküste, welche sich bis zu den Ausläufern des Franklin-Berges hin erstreckte, nicht mehr erkennbar, und drei Stunden später verschwand die ganze Insel Lincoln unter dem Horizonte.
    Der Bonadventure segelte vortrefflich. Er hob sich leicht mit den Wellen und machte schnelle Fahrt. Pencroff hatte auch das Pfeilsegel gehißt, und folgte nun streng nach dem Compaß einer schnurgeraden Linie.
    Von Zeit zu Zeit löste ihn Harbert am Steuer ab, und handhabte der junge Mann dasselbe so sicher, daß Pencroff ihm nie wegen Abweichung aus dem Curse einen Vorwurf zu machen hatte.
    Gedeon Spilett plauderte jetzt mit dem Einen, dann mit dem Anderen, und legte, wenn es Noth that, auch mit Hand an. Kapitän Pencroff erklärte sich mit seiner Mannschaft ausnehmend zufrieden, und sprach von nichts Geringerem, als davon, sie »für jede Wache mit einem Viertel Wein« zu belohnen.
    Am Abend schimmerte die schmale Sichel des zunehmenden Mondes, der erst mit dem 16. in das erste Viertel trat, in der Dämmerung, ging aber bald nach dieser unter.
    Pencroff zog aus Vorsicht das sogenannte Pfeilsegel wieder ein, da er sich nicht mit einem Segel an der Mastspitze von einem plötzlichen Windstoße überraschen lassen wollte. Für eine so ruhige Nacht konnte man diese Maßregel wohl eine übertriebene Vorsicht nennen, aber Pencroff war ein erfahrener Seemann, dem Niemand zu nahe treten konnte.
    Der Reporter verschlief einen Theil der Nacht, während sich Harbert und Pencroff von zwei zu zwei Stunden am Steuer ablösten. Der Seemann vertraute Harbert ebenso, wie sich selbst, und dieses Zutrauen rechtfertigte sich hinlänglich durch das kalte Blut und den scharfen Verstand des jungen Mannes. Pencroff gab ihm, wie ein Commandant seinem Untersteuermann, den Curs an, und Harbert sorgte dafür, daß der Bonadventure diesen nicht um eine Linie verließ.
    Die Nacht verstrich, und auch der 12. October verlief unter gleich günstigen Umständen. Den ganzen Tag über wurde die Richtung nach Südwesten streng eingehalten, und wenn der Bonadventure nicht einer unbekannten Strömung unterlag, so mußte er genau auf die Insel Tabor treffen.
    Das weite Meer, über welches das Schiffchen dahin zog, war vollkommen öde. Nur dann und wann schwebte ein großer Vogel, ein Albatros oder Fregattvogel, in Schußweite vorüber, und Gedeon Spilett fragte sich, ob einer davon nicht jener mächtige Segler der Lüfte sein möge, dem er seinen letzten für den »New-York Herald« bestimmten Bericht anvertraut hatte. Diese Vögel repräsentirten die einzigen lebenden Wesen in dem Theile des Pacifischen Oceanes zwischen den Inseln Lincoln und Tabor.
    »Und doch, bemerkte Harbert, befinden wir uns in der Jahreszeit, in der die Walfänger nach dem Süden des Stillen Weltmeeres zu ziehen pflegen. Wahrlich, ich glaube, ein einsameres Meer, als dieses hier, giebt es nirgends wieder.
    – O, es ist doch nicht ganz vereinsamt, entgegnete Pencroff.
    – Wie meinen Sie das? fragte der Reporter.
    – Nun, segeln wir nicht auf demselben? Halten Sie denn unser Fahrzeug für eine Seetrift, und unsere Personen für Meerschweine?«
    Pencroff lachte herzlich über seinen eigenen Scherz.
    Am Abend schätzte man die vom Bonadventure zurückgelegte Strecke auf hundertundzwanzig Meilen von der Insel Lincoln aus, woraus sich bei sechsunddreißigstündiger Fahrt die mittlere Geschwindigkeit zu dreieinviertel Meile per Stunde berechnete. Die Brise wehte nur schwach und schien ganz einschlafen zu wollen. Jedenfalls durfte man hoffen, die Insel Tabor, vorausgesetzt, daß jene Schätzung genau und der Curs gut eingehalten war, am nächsten Tage zu Gesicht zu bekommen.
    Während der Nacht vom 12. zum 13. October schlief keiner der drei Schiffsgenossen. In Erwartung des kommenden Tages bemächtigte sich ihrer eine eigenthümliche Unruhe, gerechtfertigt durch die Ungewißheit des Erfolgs ihres kühnen Unternehmens. Befanden sie sich wirklich in der Nähe der Insel Tabor? Lebte der Schiffbrüchige, dem sie jetzt

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