Die geheimnißvolle Insel
nächsten Tage mittels ihrer Canots an’s Ufer gehen würden.
So bereit und entschlossen zum Handeln Cyrus Smith und seine Genossen auch waren, so durften sie eine gewisse Klugheit doch nicht aus den Augen setzen. Vielleicht konnte ihre Anwesenheit überhaupt verborgen bleiben, für den Fall, daß die Seeräuber sich begnügten, nur an’s Land zu gehen und nicht in’s Innere von Lincoln einzudringen. Wirklich war ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß sie keinen anderen Zweck verfolgten, als an der Mercy-Mündung Wasser einzunehmen, und dabei konnten die ein und eine halbe Meile von der Mündung über den Fluß geschlagene Brücke und die Werkstätte in den Kaminen ihren Blicken recht wohl entgehen.
Warum hißten sie aber jene Flagge an der Mastspitze der Brigg? Weshalb lösten sie einen Kanonenschuß? Gewiß einfacher Firlefanz, wenn er nicht die Bedeutung einer Besitznahme der Insel haben sollte! Cyrus Smith wußte nun, daß das Fahrzeug furchtbare Waffen führte. Und was hatten die Ansiedler, um den Kanonen der Piraten zu antworten? – Nichts als einige Flinten!
»Jedenfalls, bemerkte Cyrus Smith, befinden wir uns hier in uneinnehmbarer Stellung. Der Feind wird die frühere Abflußöffnung, jetzt, wo sie von Blüthen und Gräsern verdeckt ist, nicht auffinden, und folglich auch nicht in das Granithaus eindringen können.
– Aber unsere Anpflanzungen, unser Hühnerhof, die Viehhürde, Alles, Alles! rief Pencroff, mit dem Fuße stampfend. Sie können Alles verwüsten, Alles in wenig Stunden zerstören!
– Alles, Pencroff, antwortete Cyrus Smith, und wir besitzen kein Mittel, sie daran zu hindern.
– Sind ihrer Viele? – Das ist die Frage, sagte der Reporter. Wenn sie nur Zwölf sind, werden wir mit ihnen fertig, aber Vierzig, Fünfzig, vielleicht noch mehr! …
– Herr Smith, begann da Ayrton, der auf den Ingenieur zutrat, würden Sie mir eine Erlaubniß ertheilen?
– Welche, mein Freund?
– Mich nach dem Schiffe zu begeben und die Stärke der Mannschaft zu erforschen?
– Aber, Ayrton, erwiderte der Ingenieur, Sie riskiren Ihr Leben …
– Warum sollte ich nicht?
– Das ist mehr als Ihre Pflicht.
– Ich habe auch mehr zu leisten, als meine Pflicht, antwortete Ayrton.
– Sie wollten mit der Pirogue bis zum Schiffe rudern? fragte Gedeon Spilett.
– Nein, mein Herr, ich will dahin schwimmen; die Pirogue würde da nicht hindurch kommen, wo es einem Schwimmer noch möglich ist.
– Haben Sie auch bedacht, daß die Brigg mehr als eine Meile vom Ufer liegt?
– Ich bin ein guter Schwimmer, Herr Harbert.
– ich wiederhole Ihnen aber, Sie setzen Ihr Leben auf’s Spiel, meinte der Ingenieur.
– Das thut nichts, antwortete Ayrton. Herr Smith, ich verlange das als eine Gnade von Ihnen. Vielleicht erringe ich mir dadurch wieder einige Achtung vor mir selbst!
– So gehen Sie mit Gott, Ayrton, erwiderte Cyrus Smith, der recht wohl fühlte, daß eine Verweigerung dieser Erlaubniß den früheren Verbrecher, der wieder zum ehrlichen Menschen geworden war, tief betrüben müßte.
– Ich begleite Sie, rief Pencroff.
– Sie mißtrauen mir also! sagte Ayrton verletzt und schnell, doch bald rang sich ein schmerzlicher Seufzer aus seinem Busen los.
– Nein! Nein! rief wie zum Troste Cyrus Smith, nein, Ayrton, Pencroff mißtraut Ihnen nicht! Sie haben seine Worte falsch gedeutet!
– Wirklich, erklärte der Seemann, ich wollte Ayrton damit nur vorschlagen, ihn bis zum Eilande zu begleiten. Wenn es auch nicht gerade wahrscheinlich ist, so könnte sich doch Einer jener Spitzbuben nach dem Eilande begeben haben, und dann möchten zwei Mann wohl nicht zuviel sein, ihn zu verhindern, ein Signal zu geben. Ich will Ayrton nur auf dem Eilande erwarten, und er mag, da er es nun einmal so will, allein nach dem Schiffe zu gelangen suchen.«
Nach derartiger Erledigung dieses kleinen Zwischenfalles traf Ayrton die nothwendigsten Vorbereitungen. Sein Project war kühn, doch konnte es, begünstigt durch die Dunkelheit der Nacht, wohl gelingen. Erreichte er nur das Fahrzeug, so vermochte Ayrton, wenn er sich an die Knie unter den Krahnbalken anklammerte, oder in die Putern kletterte, sich über die Anzahl und vielleicht auch über die Absichten der Seeräuber zu unterrichten.
Gefolgt von ihren Genossen begaben sich Ayrton und Pencroff nach dem Strande hinab. Ayrton warf die Kleider ab und bestrich sich mit Fett, um weniger von der Kälte des Wassers zu leiden. Er mußte ja darauf gefaßt sein,
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