Die geheimnißvolle Insel
Einsiedlers dienen können, der daselbst alles zum Leben nothwendige vorfand. Nirgends entdeckten die Colonisten aber bei ihrer Durchsuchung auch nur Spuren von einem Menschen.
Sollten sich die Wohnung und ihr Insasse in jenen öden Schlünden, mitten unter den übereinander geworfenen Felsen in den rauhen Schluchten nach Norden hin, zwischen den erstarrten Lavamassen finden?
Der nördliche Theil des Franklin-Berges bestand eigentlich nur aus zwei breiten, seichten Thälern, ohne Pflanzenwuchs und erfüllt von erratischen Blöcken, gestreift von langen Moränen, zerrissen von formlosen Gesteinsmassen und bestreut mit Obsidianen und Labradoriten. Dieser Theil erforderte eine längere und mühsame Untersuchung. Dort gähnten tausend Höhlen, welche zwar möglichst unbequem zu erreichen sein mochten, aber bei ihrer absoluten Verstecktheit auch vor jedem Angriffe sicherten. Die Colonisten drangen selbst in dunkle Tunnels aus der plutonischen Erdperiode ein, die sich, noch immer geschwärzt von dem vorgeschichtlichen Feuer, durch die Felsmassen hinzogen. Man durchsuchte bei Fackellicht diese tiefen Galerien, und ließ nicht die geringsten Aushöhlungen unbeachtet, die kleinsten Vertiefungen, ohne sie zu sondiren, vorüber. Aber überall Schweigen, überall Finsterniß. Kaum jemals schien ein Menschenfuß diese uralten Gänge betreten, oder ein Arm nur einen dieser Steine verrückt zu haben. Alles lag noch so vor ihnen, wie es der Vulkan zur Zeit der Entstehung der Insel aus den Wassern emporgedrängt hatte.
Wenn sich diese unterirdischen Galerien aber auch völlig verlassen und tiefdunkel erwiesen, so mußte Cyrus Smith doch die Ueberzeugung gewinnen, daß es daselbst nicht absolut still blieb.
Am Ende eines solchen dunkeln Hohlganges, der sich mehrere hundert Schritte weit in die Felsmasse fortsetzte, angelangt, vernahm er staunend eine Art dumpfes Murren, dessen Intensität die Schallfortleitung des Gesteins noch erhöhen mochte.
Der ihn begleitende Reporter hörte das Geräusch ebenfalls, das auf ein Wiederaufleben der unterirdischen Feuer hindeutete. Wiederholt horchten Beide aufmerksam und stimmten leicht in der Ansicht überein, daß sich in den Eingeweiden des Erdbodens jetzt irgend welcher chemische Proceß abspiele.
»Der Vulkan kann also nicht vollkommen erloschen sein, sagte Gedeon Spilett.
– Möglicherweise geht seit unserer Untersuchung des Kraters, erwiderte Cyrus Smith, in den untersten Schichten Etwas vor. Jeder Vulkan, auch der scheinbar gänzlich erloschene, kann bekanntlich wieder ausbrechen.
– Sollte eine erneute Eruption des Franklin-Berges aber, fragte der Reporter, nicht die ganze Insel Lincoln gefährden?
– Das glaub’ ich nicht, antwortete der Ingenieur. Noch ist der Krater, d.h. das Sicherheitsventil, ja vorhanden, aus dem die Auswurfsmassen, wie ehedem durch die gewohnte Mündung, abfließen könnten.
– Mindestens, wenn sie nicht durch eine neue Oeffnung ihren Weg über die fruchtbaren Theile der Insel nehmen.
– Warum, lieber Spilett, entgegnete Cyrus Smith, sollten sie nicht dem ihnen von der Natur vorgezeichneten Wege folgen?
– O, die Vulkane haben auch ihre Launen! versetzte der Reporter.
– Bedenken Sie, sagte der Ingenieur dagegen, daß die Neigungsverhältnisse der ganzen Bergmasse eine Ausbreitung jener Auswurfsstoffe nach den jetzt von uns durchforschten Thälern begünstigen, und daß zur Umkehrung dieses Zustandes ein Erdbeben erst den Schwerpunkt des ganzen Berges verschieben müßte.
– Der Eintritt eines Erdbebens ist aber auch nicht unmöglich, bemerkte Gedeon Spilett.
– Gewiß nicht, bestätigte der Ingenieur, vorzüglich, wenn die unterirdischen Kräfte erwachen und die Erdschichten nach langer Ruhe zersprengt zu werden drohen. Jedenfalls, lieber Spilett, wäre eine neue Eruption auch für uns ein sehr ernstes Ding, und weit mehr zu wünschen, der Vulkan hätte die Gewogenheit, auch ferner zu schlummern. Jedenfalls vermögen wir dabei nichts zu thun. Doch, was auch geschehe, ich fürchte nicht, daß unser Gebiet an der Freien Umschau ernstlich bedroht würde. Zwischen ihm und dem Berge streckt sich eine merkliche Bodensenkung hin, und selbst wenn die Laven jemals nach der Seeseite hin abflössen, würden sie nach den Dünen und den Umgebungen des Haifisch-Golfes geleitet werden.
– Bis jetzt haben wir an der Spitze des Berges auch noch keinen Rauch als Vorboten einer demnächstigen Eruption wahrgenommen, sagte Gedeon Spilett.
– Nein, erwiderte
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