Die geheimnißvolle Insel
Entschluß fassen, wollen wir erst nachsuchen. Eine Wohnung, deren Unkosten die Natur allein trägt, würde uns doch wohl viele Arbeit ersparen und eine gegen einen feindlichen Angriff von irgend welcher Seite noch sicherere Zuflucht bieten.
– Gewiß, Cyrus, meinte Gedeon Spilett, doch haben wir schon den ganzen Granitstock der Küste untersucht, ohne eine Höhlung oder nur einen Spalt zu finden.
– Wirklich, nicht einen! fügte Pencroff hinzu. Ja, hätten wir eine Wohnung in dieser Steinwand, in einer gewissen Höhe, um sie sturmfrei zu machen, aushöhlen können, das wäre prächtig gewesen. Sie steht mir ganz lebendig vor Augen, so fünf bis sechs Zimmer in der Front nach dem Meere …
– Mit Fenstern, um sie zu erhellen! sagte Harbert lachend.
– Und einer Treppe, um hinauf zu steigen! fügte Nab hinzu.
– Ja, da lacht Ihr, sagte der Seemann, aber weshalb denn? Erscheint denn mein Vorschlag so ganz unausführbar? Haben wir denn nicht Aexte und Hacken bei der Hand? Sollte Mr. Cyrus nicht das nöthige Pulver zum Sprengen herzustellen wissen? Nicht wahr, Mr. Cyrus, sobald wir Pulver brauchen, werden Sie uns damit versorgen?«
Cyrus Smith hatte dem Schwärmer Pencroff zugehört, als dieser seine etwas phantastischen Projecte entwickelte. Diesen Granitfelsen zu bearbeiten, wäre selbst unter Mithilfe der Pulversprengungen eine herkulische Arbeit gewesen, und es blieb gewiß bedauerlich, daß die Natur auch nicht den gröbsten Theil der Arbeit besorgt hatte. Dem Seemann rieth der Ingenieur indeß als Antwort nur, die Felsenmauer von der Flußmündung bis zu ihrem Ende im Norden genau zu untersuchen.
Auf einer Strecke von mindestens zwei Meilen wurde dem sofort mit peinlichster Sorgfalt entsprochen, doch nirgends zeigte die glatte, steile Wand irgend welche Aushöhlung. Selbst die Nester der Felsentauben, welche diese umflatterten, bestanden nur aus kleinen, auf dem Kamme und dem zerrissenen Rande des Gesteins eingebohrten Löchern.
Diese Felsmasse also mit der Hacke oder selbst dem Pulver bis zu einer genügenden Höhle auszuarbeiten, mußte bei diesen ungünstigen Verhältnissen vollkommen aufgegeben werden. Der Zufall hatte es gewollt, daß Pencroff früher die einzige nothdürftig bewohnbare Zufluchtsstätte auffand, eben jene Kamine, welche jetzt wieder verlassen werden sollten.
Nach genauester Durchsuchung der ganzen Strecke befanden sich die Colonisten an jenem nördlichen Winkel der Wand, von welchem aus diese mit flacher werdenden Ausläufern in dem sandigen Ufer unterging. Von eben dieser Stelle bildete sie bis zu ihrer äußersten Grenze im Westen nur eine Art Böschung, eine Anhäufung von Steinen, Sand und Erde, welche durch Gräser und Gesträuche zusammengehalten, in einem Winkel von fünfundvierzig Graden abfiel, während da und dort der Granit noch in spitzen Säulen zu Tage trat. Wohl schmückten auch einzelne Bäume diesen Abhang, und stellenweise deckte ihn ein frischer Rasen. Weiterhin aber hörte die Vegetation auf, und dehnte sich eine lange, sandige Ebene vom Fuße der Böschung bis zum Ufer aus.
Nicht ohne Grund glaubte Cyrus Smith, daß das Ueberfallwasser des Sees auf dieser Seite herunterfließen werde. Nothwendiger Weise mußte doch der von dem Rothen Flusse gelieferte Wasserüberschuß irgendwo einen Ausweg haben. Noch hatte der Ingenieur diesen nirgends an den schon besuchten Ufern, d.h. von der Mündung des Creeks im Westen bis zum Plateau der Freien Umschau hin, aufgefunden.
Der Ingenieur schlug also seinen Begleitern vor, den Abhang zu ersteigen und nach Untersuchung des nördlichen und östlichen Ufers des Sees über die Hochebene hin nach den Kaminen zurückzukehren.
Der Vorschlag wurde angenommen und schon nach wenigen Minuten hatten Nab und Harbert das Oberland erklettert, während Cyrus Smith, Gedeon Spilett und Pencroff in gemäßigterem Schritte nachfolgten.
Nach Zurücklegung einer kurzen Strecke quer durch ein Gehölz erglänzte die schöne Wasserfläche funkelnd in der Sonne. Die Landschaft bot hier einen prächtigen Anblick. Die Bäume mit ihrem gelblichen Farbentone ergötzten das Auge. Einige gewaltige Stämme, die vor Alter gestürzt waren, stachen durch ihre schwärzlichere Rinde auffallend von dem Grün, das den Boden bedeckte, ab. Da schwatzte eine ganze Welt lärmender Kakadus, wahrhaft bewegliche Prismen, die von einem Zweige zum anderen flatterten. Es schien, als ob das Licht nur in seine Einzelfarben zerlegt hier das Gezweig durchdringe.
Statt
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