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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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Abendessen geben würde, wenn sie nicht geschickt eingriff und die allen ohnehin bekannten Geschichten im Keim erstickte.
    Sie ging auf meinen Onkel zu und bedankte sich nochmals für einen Schal, den sie von ihm als Weihnachtspräsent erhalten hatte. Die Unterbrechung nutzte ich, um allen Anwesenden Getränke nachzuschenken. Dann hielt ich die Uhr erneut hoch und drehte sie. Ein ungläubiges Raunen war von allen Seiten zu vernehmen, als der feine Sandstrahl von unten nach oben rieselte. Mein Neffe Dirk hatte als Hobbybastler seine Überraschung schnell überwunden und meinte interessiert: „Zeig mal Onkel Frank. Der Trick ist toll.“ Er nahm die Sanduhr, inspizierte sie, las die Inschrift. „Scheint 1795 hergestellt worden zu sein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das dachte ich auch. Aber der Trick, von dem du sprachst, besteht wahrscheinlich einfach darin, dass der Sand nicht aus Sand, sondern aus winzigen Plastikkügelchen besteht. Die Dichte der Umgebung, ich vermute, eine durchsichtige Flüssigkeit, weist eine höhere Dichte auf als der Rohstoff, der nun nach oben gedrückt wird. Soweit ich per Internetrecherche in Erfahrung bringen konnte gab es derartige Uhren 1795 noch nicht. Es handelt sich wahrscheinlich um eine moderne Uhr, die auf alt getrimmt wurde. Aber egal. Ich finde sie originell und sie funktioniert einwandfrei.“ Meine Tochter las die lateinische Inschrift laut vor: Tempus fugit – mors manet. Und: Tempus refluo – mors abolesco. Mein Onkel fragte ironisch, wohl wissend, dass seine Großnichte Latein hasste, auf diesem Gebiet nicht sehr strebsam gewesen war und nur mit viel Mühe das Kleine Latinum bewältigt hatte: „Franziska! Kannst du uns den Text auch übersetzen?“
    Mein Latein war schon lange verschüttet gegangen, aber ich hatte die Zeilen bereits kurz nach der Parisreise per Wörterbuch übersetzt. Ich sprang meiner Tochter zur Seite, nahm die Uhr wieder in die Hand und las die Zeilen nochmals im Original vor und übersetzte dann: „Die Zeit vergeht. Der Tod bleibt. Die Zeit fließt zurück. Der Tod verschwindet.“ Mein Onkel schaute sehnsuchtsvoll auf einen Punkt in imaginärer Ferne: „Das wäre was! Wenn man die Zeit zurückdrehen, wieder jung sein könnte, aber mit dem Wissen und der Erfahrung von heute ausgestattet“. Ich nickte. „Ein verlockender Gedanke. Man könnte alle begangenen Fehler vermeiden und wäre gewissermaßen der Zeit voraus. Der Spruch: Wissen ist Macht! bekäme eine völlig neue Bedeutung. Ich würde gerne alles noch einmal mit meiner heutigen Einstellung und meinem heutigen Wissen erleben.“ Stefan, mein jüngerer Neffe, dem unser Gespräch viel zu theoretisch und langweilig war, wagte den Einwurf: „Können wir jetzt endlich mit dem Spiel beginnen? Ich habe das letzte halbe Jahr zweimal wöchentlich im Fitnessstudio trainiert. Dieses Mal schaffe ich die Minute und kann vielleicht sogar deinen Rekord brechen.“
    „Na gut. Du wirst beginnen. Ich stelle die Sanduhr genau auf eine Minute.“ Ich drückte den Boden des leeren Konus bis zum ersten Eichstrich herunter und hob die Uhr für alle gleichermaßen sichtbar auf den Glasschrank. Mir war in diesem Augenblick, als ob ein kleiner grüner Blitz im Uhrenglas zuckte. Als der Sand nach oben zu rieseln begann, wurde mir plötzlich schwarz vor den Augen und ich hatte das Gefühl, als ob ich über den Wolken schweben würde.

2. Kapitel
    Als ich wieder klar sehen konnte, lag ich in meinem Bett. Meine Frau drehte sich zu mir. „Wir müssen aufstehen. Der Baum muss noch geschmückt werden und du musst die Bowle ansetzen.“
    Ich brauchte einen Augenblick, um zu mir zu kommen. „Ich hatte einen eigenartigen Traum. Ich habe den Ablauf des gesamten heutigen Tages geträumt. Vom Baumschmücken bis zu den Spielen mit Stefan und David.“
    „Nun, dann hast du nur das geträumt, was jedes Jahr abläuft.“ Ich wollte aus dem Bett steigen, als ich einen schmerzenden Stich im Rücken verspürte. „Verdammt. Nicht schon wieder. Ich glaube, ich habe etwas gegen Weihnachten. Mich hat wohl genau wie letztes Jahr am Heiligen Abend ein Hexenschuss erwischt.“
    „Das war nicht letztes Weihnachten, da warst du doch in Superform und hast mit David noch Wettkrauchen gemacht. Nein, im Oktober 2006, während unseres Österreichurlaubes, hat es dich das letzte Mal erwischt gehabt.“ Mir war nicht zum Diskutieren zumute. „Egal hol mir bitte eine Tablette und das Wärmekissen. Ich stehe etwas später auf.“ Meine Frau

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