Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
ging ins Bad, brachte mir die gewünschte Arznei und legte das Körnerkissen in die Mikrowelle, um es auf die richtige Temperatur zu bringen.“ Nach einer Stunde wirkte die Tablette und ich konnte, wenngleich nur vorsichtig, aus dem Bett aufstehen. Ein heißes Bad führte zur Linderung. Aber die Schmerzen pochten unterschwellig weiter und hatten zur Folge, dass ich nicht mehr lange über meinen Traum nachdachte, zumal ich beim Blick in mein Arbeitszimmer die Sanduhr harmlos neben ihren Nachbarutensilien stehen sah. In der Küche entdeckte ich die Eieruhr, die also auch nur in meinem Traum am Weihnachtsvortag in Stücke gegangen war. Bis zum Nachmittag verlief alles den Gesetzen der Natur und der Familie entsprechend. Eine zweite Tablette unterdrückte den Rückenschmerz soweit, dass ich der festen Überzeugung war, den Weihnachtsabend zu überstehen, ohne den anderen ihren Spaß zu verderben oder meine obligatorischen Aufgaben anderen übertragen zu müssen. Um 15.30 Uhr war dann das Ende des normalen Tagesablaufes und meines bisherigen Lebens erreicht. Es klingelte und ich öffnete. Vor der Tür stand meine Tante Martha. Es fällt mir schwer, meinen Gefühlszustand zu beschreiben, es kamen so viele Dinge zusammen, dass ich das Resultat nicht in Worte kleiden kann. Mir verschlug es einfach die Sprache. „Was hast du, Frank. Du bist ganz blass.“
Meine Frau kam dazu geeilt und gab die logische Erklärung ab. „Frank wurde heute Morgen wieder einmal von der Hexe geschossen. Ihm geht es nicht so gut.“
Meine Tante tätschelte mitfühlend meine Wange. „Lass mal. Früher hatte ich damit auch meine Probleme, aber je älter du wirst, je seltener wirst du getroffen und wenn, dann tut es nicht mehr so weh, weil die meisten Nervenenden abgestorben sind.“
„Beruhigend zu wissen“, meinte ich lakonisch und ging erst mal auf die Toilette, um einige Minuten allein zu sein und nachzudenken. War ich dabei, verrückt zu werden? Ich hatte im August an der Trauerfeier für meine Tante teilgenommen und konnte mich an die Worte des Pastors fast wortwörtlich erinnern. Oder spielte mir die Fantasie einen Streich. Hatte ich die Beisetzung auch nur geträumt? Mein Blick fiel auf die ungeöffnete Tageszeitung, die meine Frau heute früh auf die Waschmaschine gelegt hatte. Bisher hatte ich keine Zeit gefunden, sie auch nur zu überfliegen. Ich schlug die Vorderseite auf und wiederum wurde ich in einen Gefühlszustand versetzt, den man nur völlig unzulänglich wiedergeben kann: Absolutes Erstaunen, Ungläubigkeit, Entsetzen, Ratlosigkeit, eine kalte Angst, die mir den Rücken emporkroch und zu Schweißausbrüchen führte.
24. Dezember 2007. Das Datum stand auf jeder Seite der Zeitung. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Gut, das erklärte, warum meine Tante in fleischlicher Gestalt und nicht als Gespenst (wobei ich ohnehin nicht an Gespenster glaube), auf unserer Familienweihnachtsfeier erschienen war. Es erklärte aber nicht den Verbleib des Jahres 2008. „Frank komm doch endlich. Wir wollen anfangen. Halt endlich deine Weihnachtsansprache.“
Meine Frau klang nicht so, als ob sie trotz des wunderbaren Ereignisses, dass sich vor über zweitausend Jahren an diesem Datum zugetragen haben soll, ein offenes Ohr für wundersame Geschichten haben würde. Der Kuchen war bereits angeschnitten. Nur das zählte in dieser Stunde. Ich rief gehorsam: „Sofort, ich komme.“ Ich musste meine Rolle spielen, als wäre nichts geschehen. Das gelang mir auch recht passabel, bis ich zu der Stelle meiner Rede kam, an der ich an die verstorbene Tante Martha erinnern wollte. Ich denke, sie hätte dies wohl mit Entsetzen quittiert. Also verzichtete ich auf einen Hinweis auf ihr Ableben, was aber zu einer Zwangspause führte. Nach einiger Zeit hatte ich mich wieder unter Kontrolle und beendete die Ansprache. „Lasst uns nun darauf anstoßen, dass wir im nächsten Jahr am Heiligen Abend in gleicher Runde wieder gesund und munter zusammen sein mögen. Prost.“ Wir prosteten uns zu und der Tag nahm seinen gewöhnlichen Verlauf. Nur verzichtete ich angesichts meiner Rückenschmerzen auf die Teilnahme an den Kraftwettbewerben. So ging diesmal mein ehrgeiziger jüngster Neffe als Sieger hervor. Die Eieruhr war unbestechlich. Während der Spiele schaute ich mehrmals verstohlen in mein Arbeitszimmer, einige Male nahm ich meine Sanduhr und betrachtete sie intensiv, als ich eine Minute einstellte und sie umdrehte, voller Spannung wartete, passierte nichts
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