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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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seiner unbequemen Lage ein. Der Mond ging hinter den felsigen Hügeln an der Stelle auf, an der Sean die Stadt vermutete. Sie war nur noch einen schnellen Ritt von zwei, drei Stunden entfernt.
     
    Henri schob den dicken Vorhang auseinander und fragte leise: »Darf ich hereinkommen, Joshua?«
    »Nur zu«, antwortete der Gelehrte und setzte ein dünnes Lächeln auf. Er legte einen Stoffstreifen als Lesezeichen zwischen die Seiten des Buches, das er las, und klappte es vorsichtig zu. »Du störst mich nicht, im Gegenteil.«
    Henri betrat Joshuas Studierzimmer und setzte sich an den Arbeitstisch. Es war früh am Abend, und durch das winzige Fenster sah man über eine Menge flacher und spitzer Dächer bis zur glänzenden Kuppel des Tempelbezirks. Das größere Fenster zum Hof war weit geöffnet. Kühle Luft und das Rascheln der Wedel, vermischt mit dem Gesang eines unsichtbaren Vogels, drangen aus der Krone der fünfzehn Ellen hohen Palme herein.
    »Du hast dein Abenteuer ohne größeren Schaden überstanden?«
    Joshuas Frage war eher eine Feststellung. Er kannte seinen alten Freund genau; ein kurzer Kampf dieser Art war durchaus dazu angetan, Henris Lebensgeister zu wecken.
    »Ja. Sie hatten es nicht auf mich, sondern auf mein Geld abgesehen. Einer von ihnen muss gesehen haben, wie ich mit einer Handvoll Drachmen und Dirham mein Essen bezahlt habe.« Henri lachte leise. »Immerhin haben sie nun meinen alten, schäbigen Turban.«
    »Der Herr wird die Räuber dafür gebührend strafen. Eines fernen Tages«, sagte Joshua. Die großen, fast schwarzen Augen hinter der Brille verliehen ihm das Aussehen einer grauhaarigen, bärtigen Eule.
    »Wann gehst du wieder zu Rabbi Cohen?«, fragte Henri.
    »Morgen.«
    In Paris hatte Henris alter Freund in einem ähnlichen Haus mit einem ähnlich eingerichteten Zimmer gewohnt. Dieses Gebäude und der Garten gehörten nun Uthman, der beide von seinem verstorbenen Vater Umar geerbt hatte.
    An zwei Wänden erstreckten sich gezimmerte Wandbretter, auf denen dicke, ledergebundene Bücher standen. Dazwischen ragten aus Tongefäßen dünne und dicke Schriftrollen aus Pergament, Papyrus und Papier, die mit farbigen Bändchen und Schleifen zusammengehalten wurden. Der Tisch war bis auf einen kleinen Bereich bedeckt mit geschlossenen und aufgeschlagenen Büchern, Schreibzeug und Mappen, zwischen deren Holzdeckeln einzelne Seiten herauslugten.
    »Du beschäftigst dich offensichtlich wieder mit der Mystik der Zahlen«, sagte Henri.
    »Ja, das tue ich, und vielleicht kann ich nachweisen, dass sie etwas mit den Zeichen der Bauhütten und Steinmetze zu tun haben.«
    Das Zimmer roch nach den alten Schriften, nach Leder, Wachs und Öl, mit dem die glänzenden Dielen poliert worden waren. Joshua lehnte den Kopf an das Kissen seines Sessels und griff nach dem Messerchen, mit dem er die Schreibfeder zuschnitt.
    »Du bist unruhig, ich sehe es dir an. Was ist der Grund dafür, alter Freund?«, fragte Joshua.
    »Das untätige Warten auf Sean macht mich nervös. Ich ahne, dass ihm etwas zugestoßen ist.«
    »Oder zugestoßen sein könnte«, berichtigte Joshua. »Er ist jung, und er wird nicht nur an uns alte Männer denken.«
    »Er ist alt und erfahren genug. Er sollte wissen, dass der Knappe seinen Ritter nicht warten lässt. Auch wenn ich ihn freigegeben und an Sohnes Statt angenommen habe.«
    Joshuas Hand machte eine beschwichtigende Geste.
    »Viele Wege führen nach Jerusalem. Und manche davon sind beschwerlich und gefahrvoll. Und London ist weit.« Joshua hielt die Hand hinter sein Ohr und lauschte einige Atemzüge lang. »Uthman ist wohl gerade wiedergekommen. Henri, mach dir keine Sorgen, Sean wird schon an unsere Tür klopfen, wenn es dem Herrn gefällt.«
    »Hoffentlich behältst du Recht.« Henri wusste, dass Sean den alten Gelehrten an dessen verlorenen Sohn erinnerte. »Hören wir, was uns Uthman für Neuigkeiten bringt. Ihn wird man wohl nicht überfallen haben?«
    »Wer weiß?«
    Es dauerte eine Weile, bis Uthman das Zimmer betrat. In einer Hand hielt er den Weinkrug, in der anderen ein seltsam aussehendes Bündel aus Stoff, das schmutzig und merkwürdig zusammengeknotet war. Er begrüßte die Gefährten und stellte den Krug auf die einzig freie Ecke des Tisches.
    »Das da«, er hob das faustgroße Bündel in die Höhe, »war auf einen Holzspan aufgespießt, der zwischen Tür und Rahmen steckte. Ich weiß nicht, was es ist, jedenfalls ist es wohl kaum zufällig an diesem Haus befestigt.«
    Joshua

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