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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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schreienden und wimmernden Männer zu kümmern, hetzte Sean zehn Schritte hangaufwärts, schwang die Waffe in einem waagrechten Halbkreis und traf die Knie und das Schienbein des dritten Verfolgers. Er sprang zur Seite, um vom fallenden Körper nicht mitgerissen zu werden, und erreichte sein Pferd. Er griff in die Haare des Schweifs und ließ sich die letzten Schritte zum Straßenrand mitziehen.
    Keuchend und schwitzend blieb Sean stehen. In die Schmerzensschreie mischten sich Wutgeheul und Flüche.
    »Schnell weg von hier«, murmelte er und tastete nach dem Sattelgurt. Er rückte den Sattel zurecht, zog die Riemen fest und hakte die Schnallen ein.
    Dann zwängte er die Trense ins Maul des Rappen, stellte den Fuß in den Steigbügel und zog sich hoch. Noch immer zitterte Sean vor Schwäche in den Knien. Aber sein Pferd blieb ruhig, und als er ihm die Hacken in die Seiten stieß, trabte es an. Nach rechts, in Richtung der Stadt.
    Sean setzte sich im Sattel zurecht, verstaute den Morgenstern und hängte Bogen und Köcher über seine Schulter. Die keine sechs Ellen breite Straße aus Karrenspuren und festgetretenem Sand war eine Spur heller als die Umgebung. Sean konnte den Mond nicht mehr sehen; das Nachtgestirn war hinter den Bergen im Westen versunken. In langsamem Trab ritt Sean in der Mitte des Weges weiter. Niemand verfolgte ihn. Die Stellung der Sternbilder, die am Horizont zu verblassen begannen, sagte ihm, dass die Nacht noch länger als vier Stunden dauern würde. Die Dämmerung hier im Heiligen Land war nur kurz. Bei Tageslicht würde er in Jerusalem einreiten. Dann endlich würde er Henri, Joshua und Uthman Wiedersehen.
    In der Dunkelheit seines Zimmers, ausgestreckt auf seinem bequemen Lager, genoss Henri die Ruhe der Nacht und die Stille im Haus. Schwach wehten die Gerüche durch die Räume, die er zu schätzen gelernt hatte. Gewürze, Weihrauch, der Duft von Blüten im Garten, die sich nachts öffneten, der Geruch von Joshuas Schriften und der feine Duft der Rosen, die an den Mauern rankten und um die Fenster herumwuchsen. Die große Stadt war fast so still wie das Haus. Nur ab und an waren Schritte auf einem gepflasterten Stück der Gasse zu hören.
    War es zu ruhig, zu still? Henri hatte ein paar Stunden geschlafen, und seit er wach geworden war, plagten ihn Erinnerungen und Gedanken, von denen ihm die allermeisten allzu vertraut waren.
    Henri befürchtete, dass Sean etwas Ernstes zugestoßen war. Er wartete auf eine Nachricht von ihm, die ihm endlich seine Sorgen nehmen würde.
    Wieder lief jemand auf klappernden Sandalen durch die Gasse. Schwach hallten die Echos. Henri, dessen Gedanken träge den Jahren seiner Jugend nachhingen, richtete sich zögernd auf. Die Schritte draußen verhielten, jemand schien zu stolpern, dann war ein kurzer, krachender Schlag zu hören. Holz splitterte. Jemand hatte etwas mit großer Wucht gegen das Schnitzwerk der Eingangstür geschleudert, die einzige Stelle, an der das Holz der Tür so dünn war, dass es leicht brechen konnte.
    Binnen dreier Herzschläge war Henri aufgesprungen. Er hatte das Schwert gepackt und war auf bloßen Sohlen die Stufen hinuntergerannt. Henri trug nur sein Schamtuch und hatte den Dolch in der Hand. Er hastete durch die Eingangshalle, presste sein Ohr an die Tür und lauschte. In der Gasse war es ruhig. Vorsichtig öffnete er die Holzklappe, dann spähte er durch die Löcher der Verzierung und fand seine Vermutung bestätigt: Niemand lauerte vor der Tür. Bedächtig zog Henri einen Riegel nach dem anderen auf, hob den Dolch und öffnete die Tür.
    »Hier ist niemand mehr«, knurrte er. »Ein seltsamer Vorfall.«
    Vor der Tür lagen einige helle Holzsplitter, zwischen ihnen ein runder Gegenstand, größer als eine Männerfaust. Henri blickte nach rechts, nach links und zu den Mauerkronen, aber er war allein. Er bückte sich und hob den Gegenstand auf; es war ein Stein, um den Pergament gewickelt und mit einer Lederschnur festgeknotet war. Henri schloss und verriegelte die Tür und tastete sich vor bis in sein Zimmer hinauf. Er entzündete an der Glut des Feuers eine Kerze und setzte sich an den Tisch.
    Mit wenigen Bewegungen löste er die Knoten und strich das Pergament glatt. Der Stein, ein großer Kiesel, gab keinen Hinweis auf den Störer der nächtlichen Ruhe. Henri starrte das eng beschriebene Pergament an und konnte nur erkennen, dass es arabische Schriftzeichen waren. Nicht ein einziges konnte er entziffern, obwohl er das eine oder andere

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