Die Geier
Tochter stand.
Giova Llorens ...
Auf dem Bildschirm erschien die komplette Kranken-
akte mit den Resultaten sämtlicher Analysen, die Dok-
tor Franck hatte durchführen lassen. Gaborit verglich
die Zahlen mit denen auf dem Z.S.A.-Plakat. Er lehnte
sich auf seinem Stuhl zurück. Es war unglaublich ...
Ein wahrer genetischer Zwilling. So wie der Amerika-
ner Zorski ihn beschrieben hatte ...
Die Erinnerungen kehrten wieder, schmerzlos, träge,
wie dicke, mit Bildern angefüllte Luftblasen. Wenige
Stunden nach der Operation hatte Giova, noch halb un-
ter Narkose, eine ihrer Puppen zu Boden fallen lassen,
woraufhin ein Arm der Puppe auf den Fliesen zerbrach.
Als Giova wieder zu sich kam, war sie darüber so trau-
rig, daß Doktor Franck die Puppe nahm, ihr den kaput-
ten Arm wieder anklebte und ihr einen Verband anleg-
te.
»Diesen Verband mußt du acht Tage lang dranlas-
sen«, hatte Franck der Kleinen ans Herz gelegt.
Giova strahlte vor Freude und ihr Lächeln hellte das
ganze Krankenzimmer auf. Sie sprach kaum mit den
anderen Kindern, die ihr - wie sie Gaborit gegenüber
geäußert hatte - viel zu eingebildet waren und zuviel
Krach machten. Je nach Tag oder Stunde entwickelte
sich ihr geistiges Alter um sechs oder dreißig Jahre wei-
ter. Das Krankenhauspersonal hielt sie für geistig zu-
rückgeblieben, doch Franck dachte genau das Gegen-
teil. Aus Neugierde ließ er während den fünf Tagen ih-
rer Genesung eine ganze Reihe von Tests durchführen,
die eindeutig bewiesen, daß Giova problemlos die Uni-
versität besuchen könnte und einen ausgesprochen ho-
hen Intelligenzquotienten hatte. Wie alle wirklich über-
durchschnittlich begabten Kinder bewegte sich Giova
auf dieser Welt wie ein Albatros an einem ölverdreckten
Strand. ,
Zu jener Zeit war sie fünfzehn Jahre alt; seither waren
vier Jahre vergangen. Zusätzlich zum eigentlichen Ziel
seiner Nachforschungen fragte sich Gaborit, was wohl
aus Giova Llorens geworden war, welchen Platz sie in-
mitten von lauter Ungleichen eingenommen hatte.
Der Arzt notierte sich die Adresse, die in der Akte
vermerkt war. Vielleicht hatte er Glück, und sie stimmte
immer noch. Aber das war nicht das Wesentlichste. Viel
wichtiger war es herauszufinden, warum die Z.S.A., die
nicht gerade für ihre Menschenfreundlichkeit bekannt
war, sich für diesen Fall interessierte. Es mußte ver-
dammt viel Geld auf dem Spiel stehen. Und vielleicht
würde sich für Gaborit die erfreuliche Möglichkeit bie-
ten, das Kräfteverhältnis auf den Kopf zu stellen und
den Schwierigkeiten, mit denen er derzeit konfrontiert
war, definitiv ein Ende zu bereiten.
Anschließend versuchte er, das Archivdokument zu
vernichten, was ihm jedoch nicht gelang. Aber es be-
stand ohnehin nur wenig Aussicht, daß ein zu jener Zeit
bereits tätiger Assistenzarzt die Suchmeldung lesen und
sogleich eine Verbindung zum Fall Giova Llorens her-
stellen würde.
Genau in dem Moment, als David Toland in der Leder-
uniform der Z.S.A.-Sammler das Zimmer betrat, schal-
tete Gaborit das Gerät ab. Gaborit machte mit seinem
Stuhl eine halbe Umdrehung, betrachtete seinen Freund
von Kopf bis Fuß und nickte anerkennend mit dem
Kopf.
»Man hat's mir bereits gesagt«, flüsterte er verblüfft,
»aber ich konnte es einfach nicht glauben . . . «
»Dabei muß es dich doch von einer schweren Last be-
freit haben, oder?« entgegnete David bissig.
Der Arzt zuckte mit den Schultern.
»Warum bist du Mitglied geworden? Wegen des Gel-
des oder weil du kämpfen willst?«
Einen Augenblick lang nickte David mit dem Kopf
und kaute seinen Kaugummi, ehe er eine Antwort gab.
»Eines Tages werde ich beweisen, daß diese Kerle
Mörder sind, bezahlte Killer, Kopfjäger ...«, murmelte
Toland. »Weißt du, mit wem ich in einer Mannschaft
zusammenarbeite?«
Gaborit schüttelte den Kopf.
»Mit Mirko Milan«, sagte David.
Der Chirurg pfiff kurz durch die Zähne.
»Sie meinen's wirklich gut mit dir«, sagte er lächelnd.
Dann wurde er sogleich wieder ernst.
»Ich hatte schon mehrmals mit diesem Milan zu tun.
Ich mag diesen Kerl überhaupt nicht. Er ist ein Apache.
Bevor Steve Odds ihn engagierte, herrschte er über die
Zone. Nimm dich in acht vor diesem Burschen, Da-
vid ...«
Mißmutig schaute David Gaborit an. Die Warnung
kam etwas spät. Er war nach wie vor überzeugt, daß
Milan für das Gemetzel in der sowjetischen Botschaft
verantwortlich war, daß er das
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