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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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mit beiden Daumen
    auf die Zunge drückte. Pamelas Augen füllten sich mit
    Tränen. Gleichzeitig röchelte sie.
    Zorski ließ die Zunge wieder los und nickte kurz mit
    dem Kopf, als Pamela zu husten begann.
    »Tut es weh?« fragte er nach einer Weile.
    Das Atmen fiel Pamela schwer.
    »Mir ist, als hätte ich ein Staubknäuel im Mund«,
    seufzte sie.
    Zorski kratzte sich an der Wange und schien sich erst
    jetzt bewußt zu werden, daß er sich seit zwei Tagen
    nicht mehr rasiert hatte.
    »Das ist nicht weiter schlimm«, sagte er und erhob
    sich. »Das werden wir schon wieder hinkriegen ... Ich
    komme später noch einmal zu Ihnen.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Zim-
    mer. Hugo Russel und eine Krankenschwester folgten
    ihm.
    »Sie müssen ein Präparat zusammenstellen«, sagte er,
    als sie auf dem Flur standen. »Zweimal am Tag reiben
    Sie ihr damit die Zunge ein. Sobald sie über ein uner-
    trägliches Brennen klagt, müssen Sie ihr den Mund
    sorgfältig ausspülen. Vermeiden Sie es, mit dem Zahn-
    fleisch und dem Gaumen in Berührung zu kommen.
    Der Schmerz würde eine Beschleunigung des Herz-
    rhythmus bewirken.«
    »Ist es doch kein Pilz?« fragte Russel erstaunt und
    fassungslos.
    Zorski schüttelte den Kopf.
    »Nein, ein klassischer Fall von >schwarzer Zunge<.
    Die Zungenwärzchen verhärten sich wie die Handin-
    nenflächen eines Holzfällers. Ein starkes Vitamin A-
    Konzentrat wird den Prozeß aufhalten. Pamela wird mit
    einer gesunden rosigen Zunge sterben . . . «
    Die Frau war vorzeitig gealtert. Abgesehen von ihren
    grauen Haaren und den drei tiefen Furchen auf der
    Stirn trug sie ein klassisch geschnittenes graues Kleid,
    und mit leicht herunterhängenden Schultern saß sie da
    auf der Stuhlkante, so als schämte sie sich, hergekom-
    men zu sein. Sie vermied es, ihrem Gegenüber in die
    Augen zu schauen, und starrte statt dessen auf den
    Teppich, als würde sich dort das interessanteste Spek-
    takel aller Zeiten abspielen. Ein Lifting und etwas mehr
    Schminke hätten ihr ihre vierzig Jahre augenblicklich
    wiedergegeben. Man brauchte kein guter Morpho-Psy-
    chologe zu sein, um zu erkennen, daß diese Frau einst
    eine sehr schöne Frau gewesen war.
    Steve Odds kaute an seinem Kugelschreiber und ließ
    ihr genügend Zeit, sich in die neue Situation einzuge-
    wöhnen. Die Angelegenheit war viel zu wichtig, als
    daß sie durch übertriebene Hast verdorben werden
    durfte.
    »Ich bin die Frau von Doktor Franck«, murmelte sie
    schließlich. »Mein Mann ist letztes Jahr an Bord seines
    verfluchten Schiffes ums Leben gekommen . . . «
    Der Name Franck sagte Odds gar nichts, aber nun be-
    griff er, warum diese Frau vorzeitig gealtert war und
    warum sie ihren ganzen Haß und ihre Verzweiflung auf
    ein Boot konzentrierte, das ihrer Meinung nach für die
    Tragödie verantwortlich war. Der Boß der Z.S.A. fragte
    sich, ob er es nicht ganz einfach mit einer Verrückten zu
    tun hatte ...
    »Er hat mich mit drei Kindern und seiner Lebensver-
    sicherung zurückgelassen . . . «
    Das Ende ihres Satzes ging in ein Schluchzen über.
    Odds verzog den Mund und hielt der Frau die Such-
    meldung hin.
    »Wollten Sie darüber mit mir sprechen?«
    Sie schaute auf das Blatt, als sähe sie es jetzt zum er-
    sten Mal, und nickte traurig mit dem Kopf.
    »Mein Mann war ein hervorragender Chirurg«, flü-
    sterte sie. »Wenn er abends nach Hause kam, erzählte er
    mir von seinen Operationen, und die interessantesten
    Fälle pflegte er in seinen Heften schriftlich festzuhal-
    ten.«
    Sie hob den Blick, und der Haß in ihren Augen
    machte Odds völlig sprachlos.
    »In Wirklichkeit«, fuhr sie mit plötzlich lauterer
    Stimme fort, »hatte er sich buchstäblich in dieses kleine
    Luder verliebt. Nachdem sie das Krankenhaus verlas-
    sen hatte, traf er sich mehrmals mit ihr. Sie ist schuld an seinem Tod!«
    Odds runzelte die Stirn. Er strich sich mit den dicken
    Fingern über die dichten Augenbrauen. Er begriff über-
    haupt nichts mehr.
    »Aber von wem sprechen Sie eigentlich?« fragte er.
    »Von diesem Mädchen!« kreischte die Frau. »Mit ih-
    ren Puppen und ihrer Unschuldsmiene . . . «
    Dann brach sie in hysterisches Lachen aus.
    »Dabei war sie nicht einmal mehr Jungfrau, als mein
    Mann sie kennenlernte!«
    Odds schüttelte den Kopf; dieser Wutausbruch ver-
    dutzte ihn völlig. Die kleine schüchterne Dame, die
    eben noch mit dem Mobiliar verschmelzen zu wollen
    schien, um von dieser Welt zu verschwinden, verwan-
    delte

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