Die Geier
mit beiden Daumen
auf die Zunge drückte. Pamelas Augen füllten sich mit
Tränen. Gleichzeitig röchelte sie.
Zorski ließ die Zunge wieder los und nickte kurz mit
dem Kopf, als Pamela zu husten begann.
»Tut es weh?« fragte er nach einer Weile.
Das Atmen fiel Pamela schwer.
»Mir ist, als hätte ich ein Staubknäuel im Mund«,
seufzte sie.
Zorski kratzte sich an der Wange und schien sich erst
jetzt bewußt zu werden, daß er sich seit zwei Tagen
nicht mehr rasiert hatte.
»Das ist nicht weiter schlimm«, sagte er und erhob
sich. »Das werden wir schon wieder hinkriegen ... Ich
komme später noch einmal zu Ihnen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Zim-
mer. Hugo Russel und eine Krankenschwester folgten
ihm.
»Sie müssen ein Präparat zusammenstellen«, sagte er,
als sie auf dem Flur standen. »Zweimal am Tag reiben
Sie ihr damit die Zunge ein. Sobald sie über ein uner-
trägliches Brennen klagt, müssen Sie ihr den Mund
sorgfältig ausspülen. Vermeiden Sie es, mit dem Zahn-
fleisch und dem Gaumen in Berührung zu kommen.
Der Schmerz würde eine Beschleunigung des Herz-
rhythmus bewirken.«
»Ist es doch kein Pilz?« fragte Russel erstaunt und
fassungslos.
Zorski schüttelte den Kopf.
»Nein, ein klassischer Fall von >schwarzer Zunge<.
Die Zungenwärzchen verhärten sich wie die Handin-
nenflächen eines Holzfällers. Ein starkes Vitamin A-
Konzentrat wird den Prozeß aufhalten. Pamela wird mit
einer gesunden rosigen Zunge sterben . . . «
Die Frau war vorzeitig gealtert. Abgesehen von ihren
grauen Haaren und den drei tiefen Furchen auf der
Stirn trug sie ein klassisch geschnittenes graues Kleid,
und mit leicht herunterhängenden Schultern saß sie da
auf der Stuhlkante, so als schämte sie sich, hergekom-
men zu sein. Sie vermied es, ihrem Gegenüber in die
Augen zu schauen, und starrte statt dessen auf den
Teppich, als würde sich dort das interessanteste Spek-
takel aller Zeiten abspielen. Ein Lifting und etwas mehr
Schminke hätten ihr ihre vierzig Jahre augenblicklich
wiedergegeben. Man brauchte kein guter Morpho-Psy-
chologe zu sein, um zu erkennen, daß diese Frau einst
eine sehr schöne Frau gewesen war.
Steve Odds kaute an seinem Kugelschreiber und ließ
ihr genügend Zeit, sich in die neue Situation einzuge-
wöhnen. Die Angelegenheit war viel zu wichtig, als
daß sie durch übertriebene Hast verdorben werden
durfte.
»Ich bin die Frau von Doktor Franck«, murmelte sie
schließlich. »Mein Mann ist letztes Jahr an Bord seines
verfluchten Schiffes ums Leben gekommen . . . «
Der Name Franck sagte Odds gar nichts, aber nun be-
griff er, warum diese Frau vorzeitig gealtert war und
warum sie ihren ganzen Haß und ihre Verzweiflung auf
ein Boot konzentrierte, das ihrer Meinung nach für die
Tragödie verantwortlich war. Der Boß der Z.S.A. fragte
sich, ob er es nicht ganz einfach mit einer Verrückten zu
tun hatte ...
»Er hat mich mit drei Kindern und seiner Lebensver-
sicherung zurückgelassen . . . «
Das Ende ihres Satzes ging in ein Schluchzen über.
Odds verzog den Mund und hielt der Frau die Such-
meldung hin.
»Wollten Sie darüber mit mir sprechen?«
Sie schaute auf das Blatt, als sähe sie es jetzt zum er-
sten Mal, und nickte traurig mit dem Kopf.
»Mein Mann war ein hervorragender Chirurg«, flü-
sterte sie. »Wenn er abends nach Hause kam, erzählte er
mir von seinen Operationen, und die interessantesten
Fälle pflegte er in seinen Heften schriftlich festzuhal-
ten.«
Sie hob den Blick, und der Haß in ihren Augen
machte Odds völlig sprachlos.
»In Wirklichkeit«, fuhr sie mit plötzlich lauterer
Stimme fort, »hatte er sich buchstäblich in dieses kleine
Luder verliebt. Nachdem sie das Krankenhaus verlas-
sen hatte, traf er sich mehrmals mit ihr. Sie ist schuld an seinem Tod!«
Odds runzelte die Stirn. Er strich sich mit den dicken
Fingern über die dichten Augenbrauen. Er begriff über-
haupt nichts mehr.
»Aber von wem sprechen Sie eigentlich?« fragte er.
»Von diesem Mädchen!« kreischte die Frau. »Mit ih-
ren Puppen und ihrer Unschuldsmiene . . . «
Dann brach sie in hysterisches Lachen aus.
»Dabei war sie nicht einmal mehr Jungfrau, als mein
Mann sie kennenlernte!«
Odds schüttelte den Kopf; dieser Wutausbruch ver-
dutzte ihn völlig. Die kleine schüchterne Dame, die
eben noch mit dem Mobiliar verschmelzen zu wollen
schien, um von dieser Welt zu verschwinden, verwan-
delte
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