Die Geier
jemals zu-
vor derart erschöpft gefühlt zu haben.
»Geben Sie mir meine Tasche und holen Sie mir bitte
ein eiskaltes Bier!« bat er mit heiserer Stimme.
Er war sich nicht sicher, ob er diese Worte klar und
deutlich ausgesprochen hatte, aber die Krankenschwe-
ster hielt ihm seine Tasche hin und verließ das Zimmer.
Zorski gab ein nervöses Glucksen von sich, zuckte mit
den Schultern und begann in seiner Reisetasche zu
wühlen. Er zog ein ovales Döschen mit einem wie Perl-
mutt glänzenden Deckel hervor und entnahm eine Prise
Kokain, die er aus seiner hohlen Hand ziemlich unge-
schickt schnupfte. Mit dem Zeigefinger und dem Dau-
men schloß er das Döschen erneut, ließ es zwischen
seine zusammengeknüllten Wollsocken fallen und legte
den Kopf in den Nacken.
»Ein Royal Flush für achtundvierzig Stunden Schlaf!«
seufzte er.
Er wurde sofort erhört. Die Krankenschwester kam
mit einem japanischen Bier zurück, das aus purem Eis
zu bestehen schien. Hinter ihr tauchte Hugo Russel auf.
Angesichts dieser doppelten Erscheinung konnte Zorski
sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er griff nach der Fla-
sche und trank sie in einem Zug zu drei Vierteln leer,
bevor er sich bewußt wurde, daß er immer noch in einer
ziemlich lächerlichen Position am Fuß seines Bettes saß.
Mühsam richtete er sich auf. Abgesehen davon, daß er
sich der Absurdität der Situation nun vollkommen be-
wußt wurde, hatte das Kokain ihm nicht geholfen. Ner-
vös durchwühlte er sein seidiges schwarzes Haar, das
ihm bei den Frauen so viel Erfolg einbrachte.
»Nun los, Russel«, murmelte er, »laden Sie Ihren
Kummer ab!«
Russel und die Krankenschwester schauten einander
kurz an.
»Wir haben Probleme mit Pamelas Zunge«, sagte der
Arzt.
Zorski wurde von einem verrückten, nicht enden
wollenden Lachen gepackt, das ihm buchstäblich die
Kehle zuschnürte.
»Mit ihrer Zunge?« stammelte er heftig schluckend.
»Sie haben Probleme mit ihrer Zunge?«
Russel blieb ernst, doch im Halbdunkel des Zim-
mers ähnelte er immer mehr einem häßlichen Transve-
stiten.
»Ihre Zunge ist stark angeschwollen«, erklärte er,
während Zorski sich vor Lachen fast krümmte. »Sie ist
ganz schwarz und faserig geworden und weist zahlrei-
che Geschwüre auf.«
Russel benahm sich wie ein Praktikant. Sein Verhal-
ten schien Mark Zorski sichtlich zu ernüchtern. Er gab
ein kehliges Knurren von sich, das seine Gesprächs-
partner in Erstaunen versetzte.
»Und was kann das Ihrer Meinung nach sein?« mur-
melte er, indem er gegen den Wunsch, wieder einzu-
schlafen, heftig ankämpfte.
»Ein Hefepilz«, antwortete Russel unsicher. »Eine
starke Vermehrung von Candida albicans.«
Zorski runzelte die Stirn.
»Und wegen eines verdammten Pilzes bringen Sie
mich um meinen Schlaf!«
»Mister Sirchos hat ausdrücklich betont, daß wir Sie
über jede Veränderung des Gesundheitszustandes sei-
ner Frau sofort informieren müssen«, entgegnete die
Krankenschwester anstelle des völlig ratlosen Russel.
Zorski fluchte leise vor sich hin und stieg schließlich
mit sichtlicher Mühe aus seinem Bett. Mit meergrünen
Augen schaute er die junge Frau an.
»Wissen Sie, wie man ein Bad gegen Müdigkeit ein-
laufen läßt, Schätzchen?«
»Ich kann Ihnen einen starken Kaffee machen«, ant-
wortete sie.
»Schon gut!« seufzte Zorski. »Kommen Sie, Russel,
wir schauen uns diese schwarze Zunge einmal etwas
genauer an ...«
Erneut lachend, schwankte er auf die Zimmertür zu.
Der Transpac-Computer des Amerikanischen Hospitals
war ungewöhnlich leistungsfähig und bot außerordent-
lich bequeme Nachschlagmöglichkeiten. Loic Gaborit
stellte eine annähernd chronologische Liste der Blind-
darmoperationen auf, die Doktor Franck durchgeführt
hatte, und schaffte es, sein Forschungsfeld auf die
zwölf- bis achtzehnjährigen Patienten einzugrenzen.
Schließlich beschloß er, die Informationen nach der
Krul-Methode abzurufen, und setzte sich mit einem
Pfund Aprikosen vor den Schirm.
Als er den siebten Kern ausspuckte, tauchte endlich
der gesuchte Name auf dem Monitor auf. Per Knopf-
druck stoppte er das Bild und rief die Krankenakte ab.
Giova Llorens.
Merkwürdigerweise löste dieser Name den berühm-
ten Funken aus und lüftete den Schleier, der sein Ge-
dächtnis trübte. Die Kleine lebte bei ihrer Mutter, einer
stattlichen Mamma italienischer Herkunft, deren plumpe Gestalt in krassem Gegensatz zu dem grazilen Aussehen ihrer
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