Die Geier
»Und haben
Sie auch daran gedacht, daß es sich um einen leeren
Film handeln könnte?«
Goldman stand da wie ein Adjutant beim Appell vor
seinem Vorgesetzten.
»Wir haben den Journalisten durchsucht und die vier
anderen Filme, die er bei sich trug, ebenfalls vernichtet«, sagte er mit erstaunlich unsicherer Stimme.
Einen Augenblick lang schien diese mechanische Hal-
tung Odds zu amüsieren. Er nahm sich eine weitere Zi-
garre und rollte sie langsam zwischen den Fingern hin
und her.
»Goldman?«
»Ja, Monsieur.«
»Goldman, halten Sie es für möglich, daß dieser Jour-
nalist einen Film verstecken konnte, bevor Sie ihn sich
schnappten?« fragte Odds übertrieben höflich.
Goldman war verwirrt. Jeder andere Idiot hätte sofort
begriffen, daß Odds ihm eine Falle stellen wollte. Irgend
etwas war schiefgegangen, und zudem bestand längst
kein Zweifel mehr daran, daß es diesem verfluchten
Fotografen gelungen war, einen Film in Sicherheit
zu bringen. Der Geier beschloß, Odds zuvorzukom-
men.
»Wir haben den Journalisten nur während knapp
zehn Minuten aus den Augen verloren«, erklärte er
schweißgebadet. »In der Zeit zwischen seinem Betreten
des Hauses und ...«
Er hielt inne.
»Und seinem Selbstmord?« ermutigte ihn Odds.
»Genau«, seufzte Goldman.
Odds ließ sich Zeit, um seine Zigarre anzuzünden.
Die Art, wie er die Lippen um den Tabakzylinder
schloß, ekelte den Geier an.
Odds blies eine dichte Rauchwolke aus, beobachtete
die Glut mit Zufriedenheit und hielt seinem Angestell-
ten das Foto hin. Goldman schaute es sich nur kurz an.
Er schwitzte am ganzen Körper.
»Was haben Sie dazu zu sagen?«
Im Büro breitete sich eine unangenehme Stille aus.
Steve Odds Zigarre verströmte einen widerlichen Ge-
stank.
»Schauen Sie sich dieses verdammte Foto bitte etwas
genauer an!« brüllte Odds. »Und hören Sie endlich auf,
sich hier vor Angst in die Hose zu machen. Es wäre bes-
ser, Sie würden mir sagen, ob ein zweiter Fotograf an
der Unfallstelle gewesen sein kann!«
Goldman beugte sich über das Bild. Dann schüttelte
er unverzüglich den Kopf.
»Nein. Das kann nur unser Journalist gewesen sein.«
Erleichtert und zugleich wütend lehnte sich Odds in
seinem Sessel zurück.
»Ich will, daß Sie den Mieter ausfindig machen, dem
dieser Idiot den Film gegeben hat«, sagte er mit ruhiger
Stimme. »Erklären Sie Milan Ihr Problem. Für einen sol-
chen Job ist er genau der richtige Mann.«
Mit geschlossenen Augen lag Pamela Sirchos in ihrem
Liegestuhl am Rande des Meerwasser-Swimmingpools,
dessen Salzgeruch sich mit dem aufdringlichen Duft der
blühenden Orangenbäume vermischte. Russel, ihr Leib-
arzt und Schutzengel, hatte ihr erlaubt, sich eine halbe
Stunde in die Sonne zu legen. Doktor Zorski hatte in
der Tat ein kleines Wunder vollbracht, innerlich natür-
lich, aber auch äußerlich. Die Narbe zwischen Pamelas
Brüsten war kaum größer als die Narbe nach einer Gal-
lenblasenoperation und zudem unendlich ästhetischer.
Der jungen Frau schienen diese Details völlig gleichgül:
tig zu sein, doch Russel hatte ihr versprochen, daß nach
ihrer Genesung alle Spuren des Eingriffs verschwunden
sein würden. Was Russel mehr noch beunruhigte als die
launenhafte Herzklappe, war die seelische Verfassung
seiner Patientin. Die sonst sehr umgängliche und fröhli-
che Pamela wurde immer schwächer, ihre blauen Au-
gen verfinsterten sich, und sie lachte immer selte-
ner.
Mit der Hand verscheuchte sie eine Stechmücke und
schaute dann zum gewaltigen Gebäude hoch.
Während zehn Monaten im Jahr kümmerte sich aus-
schließlich das Hauspersonal, das in einem separaten
Pavillon am Eingang des Parks wohnte, um die Villa.
Alexander und seine Frau hielten sich pro Jahr selten
länger als vierzig oder fünfzig Tage dort auf, höchstens
im Winter, wegen des angenehm warmen und milden
Klimas. Im Sommer mieden sie die Ostküste wie die
Pest. Jedenfalls behauptete Pamela stets, sich dort zu
Tode zu langweilen, und auch dieser erzwungene Auf-
enthalt würde wahrscheinlich nichts an ihrer Meinung
ändern.
Einige Tage vor Pamelas Ankunft waren unzählige
Lieferwagen die Alleen des Guts auf und ab gefahren.
Die Villa und ihr Park hatten sich in einen wahren
Ameisenhaufen verwandelt. Während die Kranken-
pfleger die Geräte aufstellten, die Zimmer umgestalte-
ten und die sonderbarsten Anweisungen in die Tat um-
setzten und die Diener sämtliche Vasen mit
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