Die Geier
auf seine Armbanduhr. Siebzehn Uhr fünf-
undvierzig. Was war mit der am Telefon so sehr beton-
ten Pünktlichkeit? Sirchos machte sich wohl über ihn
lustig. >Punkt fünfzehn Uhr dreißig . . . < - >Ich werde nur wenig Zeit für Sie haben .. .<
Blind vor Wut ging Russel auf die Tür zu, als plötzlich
die Sekretärin auf der Schwelle stand.
»Monsieur Sirchos wird Sie nun empfangen«, erklärte
sie, genauso als warte Russel erst seit drei Minuten.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen ...«
Augenblicklich beruhigte sich der Chirurg. Er folgte
dem Mädchen durch ein Labyrinth von Gängen, an de-
ren Wänden diskret beleuchtete impressionistische
Gemälde hingen. Der lange gerade Flur mündete in ei-
nen seltsamerweise türlosen riesigen Raum, der aus-
schließlich aus malvenfarbenem Marmor zu bestehen
schien.
Sirchos saß an einem halbkreisförmigen Schreibtisch,
auf dem sich nicht einmal ein Telefonapparat, keine
Schreibunterlage, kein einziges Blatt Papier oder sonsti-
ges Büromaterial befand, sondern ausschließlich ein
leicht nach rechts versetzter Computerterminal. Vor
dem Schreibtisch stand ein einziger schmaler Sessel.
Die Wände waren kahl, und das fahle Licht schien aus
dem Nichts zu kommen. Das aus einem Stück beste-
hende Zimmer hatte keine Fenster.
Die Sekretärin entfernte sich und ließ Russel im Ein-
gang zu diesem verblüffenden Büro stehen. Einige Se-
kunden lang war er nichts als seiner nackten Angst aus-
geliefert. Der ganze Raum war so angelegt, daß er Sir-
chos' Gesprächspartner in einen Zustand tiefen, uner-
klärlichen Unbehagens versetzte. Das Fehlen jeglicher
Tür und die völlige Stille in diesem Raum gaben Russel
den Eindruck, der Milliardär würde seine Anwesenheit
schlichtweg ignorieren.
Außer dem Unbehagen, das ihn bedrückte, kam der
Arzt sich nun auch noch ziemlich dumm vor, und als er
gerade leise husten wollte, hob Sirchos plötzlich den
Kopf, lächelte ihm zu und bat ihn, Platz zu nehmen.
Wie gelähmt schritt Russel durch den Raum. Vage er-
innerte er sich an seine Studentenzeit, an die Examen,
wenn sein Kopf mit einem Mal völlig leer war. Dennoch
gelang es ihm, sich hinzusetzen, ohne den Sessel zu
verfehlen.
»Ein unerwarteter Streik der Fluglotsen«, erklärte Sir-
chos in knappen Worten. »Die Maschinen konnten
nicht starten. In diesem verfluchten Land haben die
Transportunternehmer alle Macht. Wie geht es Ihnen,
Russel?«
Nur undeutlich kamen dem Arzt die vorbereiteten
Sätze wieder in den Sinn; sie waren völlig durcheinan-
dergeraten und folgten einem chronologischen Ablauf,
der eher burlesker Dichtung als medizinischer Bericht-
erstattung entsprach. Woran dieser unberechenbare,
völlig entspannte und übertrieben freundliche Sirchos
auch nicht gerade etwas änderte.
»Es geht mir gut, danke«, stammelte Russel ziemlich
dämlich.
Die stählernen Augen des Milliardärs betrachteten
ihn beinahe belustigt. Natürlich war Russels panische
Angst nach wie vor viel zu groß, als daß er auch nur die
geringste Spur von Provokation in dieser Haltung hätte
erkennen können.
»Ist die Hitze noch zu ertragen?« fragte Sirchos, des-
sen Lächeln mehr und mehr einer Grimasse ähnelte.
Im allerletzten Moment entzog sich Russel der Bedro-
hung.
»Es ist nicht die Hitze, die Ihrer Frau zu schaffen
macht, Mister Sirchos«, erklärte er in einem selbstbe-
wußten Ton, der ihn selbst überraschte.
Sirchos kratzte sich mit seinen manikürten Fingernä-
geln an den vorspringenden Wangenknochen.
»Ich habe meine Sekretärin gebeten, uns einen Kaffee
zu machen«, sagte der Milliardär mit leidenschaftsloser
Stimme. »Oder möchten Sie lieber etwas anderes trin-
ken?«
Russel war verwirrt. Dabei hatte er geglaubt, auf alle
Reaktionen Sirchos' gefaßt zu sein. Auf seine Wut und
auf seine Besorgnis, auf sämtliche selbstherrliche Ent-
scheidungen, die ein Mann treffen konnte, der beinahe
jeden durch die Welt transferierten Dollar kontrollierte.
Auf alle möglichen Reaktionen war er vorbereitet, und
für jede davon hatte er sich eine passende Antwort aus-
gedacht. Auf alles war er gefaßt, nur nicht auf das
Nichts. Nur nicht auf diese unglaubliche Interesselosig-
keit.
Plötzlich fragte sich Russel, warum er eigentlich ge-
kommen war. Und selbstverständlich erriet Sirchos
auch diesen Gedanken seines Gegenübers.
»Pamela langweilt sich, nicht wahr?«
Russel zuckte zusammen. Wie hatte er nur annehmen
können,
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