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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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auf seine Armbanduhr. Siebzehn Uhr fünf-
    undvierzig. Was war mit der am Telefon so sehr beton-
    ten Pünktlichkeit? Sirchos machte sich wohl über ihn
    lustig. >Punkt fünfzehn Uhr dreißig . . . < - >Ich werde nur wenig Zeit für Sie haben .. .<
    Blind vor Wut ging Russel auf die Tür zu, als plötzlich
    die Sekretärin auf der Schwelle stand.
    »Monsieur Sirchos wird Sie nun empfangen«, erklärte
    sie, genauso als warte Russel erst seit drei Minuten.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen ...«
    Augenblicklich beruhigte sich der Chirurg. Er folgte
    dem Mädchen durch ein Labyrinth von Gängen, an de-
    ren Wänden diskret beleuchtete impressionistische
    Gemälde hingen. Der lange gerade Flur mündete in ei-
    nen seltsamerweise türlosen riesigen Raum, der aus-
    schließlich aus malvenfarbenem Marmor zu bestehen
    schien.
    Sirchos saß an einem halbkreisförmigen Schreibtisch,
    auf dem sich nicht einmal ein Telefonapparat, keine
    Schreibunterlage, kein einziges Blatt Papier oder sonsti-
    ges Büromaterial befand, sondern ausschließlich ein
    leicht nach rechts versetzter Computerterminal. Vor
    dem Schreibtisch stand ein einziger schmaler Sessel.
    Die Wände waren kahl, und das fahle Licht schien aus
    dem Nichts zu kommen. Das aus einem Stück beste-
    hende Zimmer hatte keine Fenster.
    Die Sekretärin entfernte sich und ließ Russel im Ein-
    gang zu diesem verblüffenden Büro stehen. Einige Se-
    kunden lang war er nichts als seiner nackten Angst aus-
    geliefert. Der ganze Raum war so angelegt, daß er Sir-
    chos' Gesprächspartner in einen Zustand tiefen, uner-
    klärlichen Unbehagens versetzte. Das Fehlen jeglicher
    Tür und die völlige Stille in diesem Raum gaben Russel
    den Eindruck, der Milliardär würde seine Anwesenheit
    schlichtweg ignorieren.
    Außer dem Unbehagen, das ihn bedrückte, kam der
    Arzt sich nun auch noch ziemlich dumm vor, und als er
    gerade leise husten wollte, hob Sirchos plötzlich den
    Kopf, lächelte ihm zu und bat ihn, Platz zu nehmen.
    Wie gelähmt schritt Russel durch den Raum. Vage er-
    innerte er sich an seine Studentenzeit, an die Examen,
    wenn sein Kopf mit einem Mal völlig leer war. Dennoch
    gelang es ihm, sich hinzusetzen, ohne den Sessel zu
    verfehlen.
    »Ein unerwarteter Streik der Fluglotsen«, erklärte Sir-
    chos in knappen Worten. »Die Maschinen konnten
    nicht starten. In diesem verfluchten Land haben die
    Transportunternehmer alle Macht. Wie geht es Ihnen,
    Russel?«
    Nur undeutlich kamen dem Arzt die vorbereiteten
    Sätze wieder in den Sinn; sie waren völlig durcheinan-
    dergeraten und folgten einem chronologischen Ablauf,
    der eher burlesker Dichtung als medizinischer Bericht-
    erstattung entsprach. Woran dieser unberechenbare,
    völlig entspannte und übertrieben freundliche Sirchos
    auch nicht gerade etwas änderte.
    »Es geht mir gut, danke«, stammelte Russel ziemlich
    dämlich.
    Die stählernen Augen des Milliardärs betrachteten
    ihn beinahe belustigt. Natürlich war Russels panische
    Angst nach wie vor viel zu groß, als daß er auch nur die
    geringste Spur von Provokation in dieser Haltung hätte
    erkennen können.
    »Ist die Hitze noch zu ertragen?« fragte Sirchos, des-
    sen Lächeln mehr und mehr einer Grimasse ähnelte.
    Im allerletzten Moment entzog sich Russel der Bedro-
    hung.
    »Es ist nicht die Hitze, die Ihrer Frau zu schaffen
    macht, Mister Sirchos«, erklärte er in einem selbstbe-
    wußten Ton, der ihn selbst überraschte.
    Sirchos kratzte sich mit seinen manikürten Fingernä-
    geln an den vorspringenden Wangenknochen.
    »Ich habe meine Sekretärin gebeten, uns einen Kaffee
    zu machen«, sagte der Milliardär mit leidenschaftsloser
    Stimme. »Oder möchten Sie lieber etwas anderes trin-
    ken?«
    Russel war verwirrt. Dabei hatte er geglaubt, auf alle
    Reaktionen Sirchos' gefaßt zu sein. Auf seine Wut und
    auf seine Besorgnis, auf sämtliche selbstherrliche Ent-
    scheidungen, die ein Mann treffen konnte, der beinahe
    jeden durch die Welt transferierten Dollar kontrollierte.
    Auf alle möglichen Reaktionen war er vorbereitet, und
    für jede davon hatte er sich eine passende Antwort aus-
    gedacht. Auf alles war er gefaßt, nur nicht auf das
    Nichts. Nur nicht auf diese unglaubliche Interesselosig-
    keit.
    Plötzlich fragte sich Russel, warum er eigentlich ge-
    kommen war. Und selbstverständlich erriet Sirchos
    auch diesen Gedanken seines Gegenübers.
    »Pamela langweilt sich, nicht wahr?«
    Russel zuckte zusammen. Wie hatte er nur annehmen
    können,

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