Die Geier
Hörer.
»Nun, Russel, was ist los?«
Russel wußte nicht, womit er anfangen sollte. Sirchos
brachte ihn völlig aus dem Konzept. Kaum war er im-
stande, die einfachsten Sätze zu formulieren. Dum-
merweise hatte er geglaubt, dieses lähmende Gefühl
könnte dank des Telefons spürbar abgeschwächt wer-
den. Aber nun kam es ihm vor, als wäre es noch
schlimmer geworden.
»Ich muß mit Ihnen über Ihre Frau sprechen, Mon-
sieur ...«
»Reden Sie, ich höre Ihnen zu!« entgegnete Sirchos,
der offensichtlich schlecht gelaunt war.
»Es ist ...«, meinte der Arzt zögernd, »es ist nicht so
einfach ...«
Am anderen Ende der Leitung vernahm er ganz deut-
lich einen Seufzer der Verärgerung.
»Hält die Herzklappe nicht?«
Russel schüttelte den Kopf, als könnte sein Ge-
sprächspartner ihn sehen.
»Nein, das ist es nicht . . . «
»Hören Sie, Russel!« sagte Sirchos ungeduldig. »Was
sind Sie denn für ein Arzt? Geht es meiner Frau gut, ja
oder nein?«
Russel atmete tief durch.
»Physisch geht es ihr gut«, antwortete er.
Ein kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Merkwürdigerweise - aber das war ein rein subjektiver
Eindruck von ihm - glaubte Russel, dem Milliardär
würde jeden Augenblick der Kragen platzen und er
wolle ihn beschimpfen. Doch wundersamerweise über-
legte Sirchos es sich dann doch anders.
»Ich werde heute nachmittag nach Fort Lauderdale
kommen«, sagte er mit müder Stimme. »Kommen Sie
Punkt fünfzehn Uhr dreißig in mein Büro. Aber ich
werde nur wenig Zeit für Sie haben, da ich anschließend
nach Argentinien weiterfliegen muß.«
Dann legte er auf und ließ Russel noch ratloser zurück
als je zuvor.
Um fünfzehn Uhr fünfzehn, eine Viertelstunde zu
früh (aber bereits eine Stunde zuvor war er in Fort Lau-
derdale angekommen) wurde Doktor Russel von einer
bezaubernden Sekretärin empfangen und in den - wie
sollte er den Raum anders nennen? - Wartesaal geführt,
wo er sich in einen nur mäßig bequemen Sessel fallen
ließ und nun schon seit zwei Stunden schweißgebadet
wartete. Niemand hielt es für nötig, ihm diese Verspä-
tung Sirchos' zu erklären oder ihm wenigstens ein Glas
Wasser anzubieten.
Russel konnte Sirchos nicht leiden. Ja, man könnte
sogar behaupten, daß er ihn haßte. Heute jedenfalls
haßte er ihn. Doch Russel weigerte sich zuzugeben, daß
dieser Haß auf die Tatsache zurückzuführen war, daß
beide dieselbe Frau leidenschaftlich liebten ... Dieses
Gedankens war er sich kaum bewußt. Er glaubte, sein
Haß hätte andere Gründe. Denn Sirchos hatte ihn ganz
einfach kaputtgemacht, seine Karriere ruiniert, seine
Nerven zerstört, sein Privatleben wie sein Berufsleben
vernichtet. Sirchos machte ihn für die beiden mißlun-
genen Operationen Pamelas verantwortlich. Hundert-
mal, tausendmal hatte er diese Operation in seinen
schlaflosen Nächten noch einmal durchlebt. Er hatte
nicht den geringsten Fehler begangen. Gewiß, Zorski
war vielleicht begabter als er. Aber vor allem war er sich der Komplexität des Problems bewußt, hatte mit außergewöhnlichen Nähten eine neue Herzklappe einsetzen
können und eine so offensichtlich perfekte Arbeit gelei-
stet, daß Russel eine Abstoßung wie eine wahre medizi-
nische Ungerechtigkeit vorkommen mußte. Im Gegen-
satz zu allen anderen Chirurgen, die einen möglichen
Mißerfolg zu den niemals auszuschließenden postope-
rativen Risiken zählten.
Russel wußte nicht, was Sirchos dem berühmten Chir-
urgen angeboten hatte, damit dieser Philadelphia ver-
ließ, wozu er sich bislang stets geweigert hatte, aber in
seinem Innern war er davon überzeugt, daß Zorski ei-
nen ähnlichen Mißerfolg hätte einstecken müssen,
wenn er der erste gewesen wäre, der Pamela operiert
hätte. Nichtsdestoweniger war es Sirchos gelungen, alle
Zweifel und alle Schuld auf Russel abzuwälzen. Zwei-
fellos war das seine Art und Weise, seine Untergebenen
allmählich um den Verstand zu bringen.
Bei der Vorstellung, Sirchos erneut die Stirn bieten zu
müssen, schauderte er. Dabei hatte er sich seine Argu-
mente bestens überlegt, sich seine Sätze präzise zu-
rechtgelegt, jedes Wort genau abgewägt und die mögli-
chen Antworten eines Gegenübers bedacht, der ihm
unweigerlich wie ein Feind vorkommen mußte. Sein
Wunsch zu fliehen, wurde plötzlich so unwiderstehlich,
daß er sich aus seinem Sessel erhob und wie ein gefan-
genes Raubtier im Zimmer auf und ab ging.
Er schaute
Weitere Kostenlose Bücher