Die Geier
einem solchen Mann die Stirn bieten zu kön-
nen?
Er schluckte mühsam.
»Sie langweilt sich nicht nur, Monsieur Sirchos«, ver-
besserte er leise. »Sie wird neurasthenisch.«
Mit einem Mal gab sich Sirchos interessierter, beugte
sich leicht nach vorn und stützte sich mit den Ellbogen
auf der Schreibtischplatte ab.
»Ist das nicht bei den meisten Genesenden der Fall?«
Russel schüttelte den Kopf.
»Nein«, entgegnete er. »Neurasthenie ist eine Krank-
heit für sich. Und bei Ihrer Frau häufen sich die Sym-
ptome dieser Krankheit.«
Sirchos schien sich zu entspannen und lehnte sich in
seinem Sessel zurück.
»Sehen Sie, Doktor Russel, Pamela ist eine Frau, die
es gewohnt war, intensiv zu leben, von Fotografen um-
geben zu sein, sich auf prächtigen Cocktailpartys zu
amüsieren und von männlichen Bewunderern um-
schwärmt zu werden. Ich glaube ganz einfach, daß
sie ...«
»Es handelt sich keineswegs um eine bloße Laune Ih-
rer Frau«, erwiderte Russel. »Wegen einer solchen Lap-
palie hätte ich mich nicht an Sie gewandt! Pamela ...«
Sogleich bereute er es, ihren Vornamen genannt zu
haben.
» . . . Pamela leidet an einer Störung des Nervensy-
stems. Schlaf- oder Beruhigungsmittel können absolut
nicht dagegen helfen. Wie in den meisten Fällen tau-
chen erst einmal somatische Störungen auf. Sie klagt
über Schmerzen, in erster Linie natürlich über Herzbe-
schwerden.«
Sirchos begann nervös mit den Fingern gegen die
Schreibtischkante zu trommeln, so als wollte er schnell
zum Ende ihrer Unterredung kommen.
»Hatten wir nicht vereinbart, daß Sie bei Komplika-
tionen Doktor Zorski zu Rate ziehen sollten?« murmelte
er wie beiläufig.
Russel räusperte sich verlegen. Sein Mund war völlig
ausgetrocknet, und er fühlte sich immer unwohler in
seiner Haut.
»Ihre Frau braucht einen Psychotherapeuten, keinen
Chirurgen«, sagte Russel. »Außerdem möchte ich Sie
darauf hinweisen, daß Pamela die Absicht hat, ihren
Geburtstag mit einem großen Fest zu feiern. In zwei
Wochen ...«
Sirchos lächelte spöttisch.
»Ich danke Ihnen, daß Sie mich an den Geburtstag
meiner Frau erinnern«, knurrte er.
»Sie will alle ihre Freunde zu diesem Fest einladen«,
fügte Russel hinzu, »eine große Party geben. Meiner
Meinung nach ist das eine großartige Idee, vorausge-
setzt natürlich, Pamela bleibt vernünftig.«
»Vernünftig?« schrie Sirchos mit wütendem Blick.
»Kennen Sie die Leute, die wie Parasiten um meine Frau
kreisen, Doktor Russel? Diese berühmten Hollywood-
stars? Diese zwielichtigen, mit Kokain und Tequila voll-
gestopften Wracks, diese unkultivierten Gigolos und
diese alten brünstigen Playboys ... Ich hasse Künstler,
Russel, und ich haßte den Beruf meiner Frau. Ich habe
sie absichtlich von der Westküste weggeholt, um sie von
diesen Leuten fernzuhalten, und nun bitten Sie mich, all
diese Leute hierher einzuladen?«
Er legte beide Hände flach auf den Schreibtisch.
»Diese Leute sind es, die ihr Herz kaputtgemacht ha-
ben, begreifen Sie das immer noch nicht?« brüllte er.
»Aber seien Sie unbesorgt, Pamela wird sie schnell wie-
der vergessen.«
Russel war eher vom Gegenteil überzeugt. Aber was
Sirchos' Motive anging, so begann er, deren Umrisse
allmählich zu erkennen. Pamelas Krankheit war für ihn
der willkommene Vorwand, seine Frau in einen Käfig
einzusperren.
Der Milliardär schaute kurz auf seine Armbanduhr.
»Ist das alles, was Sie mir zu sagen haben, Doktor
Russel?«
Sichtlich enttäuscht nickte der Arzt mit dem Kopf.
»Sind diese somatischen Störungen, von denen Sie
vorhin sprachen, wirklich gefährlich für Pamelas Ge-
sundheit?«
Russel zuckte mit den Schultern.
»Alle Neurasthenien können Symptome von Tetanie
und Tachykardie aufweisen«, murmelte er. »Aber im
Moment sind Herzrhythmus und Blutkreislauf völlig
normal.«
Seltsamerweise hielt Russel es nicht mehr für nötig zu
kämpfen. Er fühlte sich völlig leer, erschüttert, voll-
kommen kraftlos. Am Ende hatte er nur mehr einen
einzigen Wunsch: diesen Mann und diese krankhafte
Faszination loszuwerden, die er für ihn empfand.
»Ich werde Ihnen den besten Psychiater in die Villa
schicken«, sagte Sirchos und erhob sich. »Und sagen Sie
Pamela, daß ich ihren Geburtstag nicht vergessen und
mir eine Überraschung für sie ausgedacht habe.«
Damit war die Unterredung beendet. Russel reichte
dem Milliardär zögernd die Hand und ging die
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