Die Geier
suchen? Zu verschwinden? Damit
wäre sie nicht einverstanden. Er erinnerte sich an ihre
unglaubliche Angst, als sie von dem angeblichen
Selbstmord des Journalisten erfuhr. Also blieb ihm
nichts anderes übrig, als zu hoffen, daß Sylvie, im Falle
eines Falles, diese Nacht vergessen hätte, und vor allem,
daß sie sich nicht mehr erinnern würde, mit wem sie
diese Nacht verbracht hatte ...
Um sein Gewissen zu beruhigen, ging Mouss den-
noch in die Telefonzelle zurück und wählte Sylvies
Nummer. Er hatte nicht die Absicht, auch nur ein einzi-
ges Wort zu sagen. Er tat es nur aus Neugier. Aus purer
Neugier. Gut zehnmal ließ er es klingeln, bevor er wie-
der auflegte. Sylvie war nicht zu Hause. Bestimmt trieb
sie sich wieder mit ihrer Clique herum. Das war auch
besser so.
Mouss' Anruf hatte einzig und allein zur Folge, daß
Milan einen Moment lang aufhörte, auf Sylvie einzu-
schlagen. Einige Sekunden lang hielt er inne und fragte
sich, ob es nicht besser wäre, wenn das Mädchen sich
melden würde, um so einen möglichen Komplizen in
die Falle zu locken. Aber Sylvie war von derartiger Pa-
nik erfaßt daß sie wahrscheinlich laut zu schreien ange-
fangen hätte, so daß er es sein ließ. Das Klingeln schien
Goldman sichtlich nervös zu machen, wie ein gehetztes
Tier schaute er sich nach allen Seiten um. Als das Tele-
fon schließlich wieder verstummte, seufzte er erleichtert
auf.
Sylvie blutete aus der Nase. Ihre rechte Schulter und
ihr Bauch taten ihr schrecklich weh. Bei jeder Bewe-
gung, zu der ihr Folterer sie zwang, stieß sie einen Kla-
geschrei aus, der sogleich von der riesigen, nach Äther
riechenden Hand erstickt wurde. Vor lauter Angst be-
griff sie nicht sogleich, was diese Männer eigentlich von
ihr wollten. Bilder von Vergewaltigungen und Plünde-
rungen gingen ihr durch den Kopf, am Ende sogar erin-
nerte sie sich verschwommen an die Silhouette des aus
dem Fenster gestürzten Journalisten.
Milan drehte sie um und warf sie brutal gegen das
Bett. Entsetzt riß Sylvie ihre hellen Augen auf, als sie
das lange Messer vor dem Gesicht sah. Die Spitze der
Klinge berührte die Lippen der jungen Frau, glitt lang-
sam in ihren Mund und berührte ihre zusammenge-
preßten Zähne.
»Mach den Mund auf oder ich zerschneide dir das
Zahnfleisch!« knurrte Milan, der rittlings auf Sylvie
saß.
Das Mädchen zitterte am ganzen Körper. Sie spürte,
wie die Klinge ihr in den Mund rutschte.
»Wenn du schreist, steche ich zu«, warnte Milan mit
einem häßlichen Grinsen. »Und bei jeder falschen Ant-
wort schneide ich dir ein Stück von der Zunge ab.«
Sylvie spürte, wie die Tränen ihr über das Gesicht lie-
fen. Ihr war nach Kotzen zumute.
»Ist der Journalist zu dir gekommen?« fragte Milan.
Sie spürte das kalte Messer auf der Zunge. Ihr Mund
füllte sich mit Speichel.
»Ja.«
Sie bemerkte die Erleichterung ihres Folterers und
begriff, daß er nicht sicher war, die richtige Tür aufge-
brochen zu haben.
»Und er hat dir den Film gegeben?«
Sylvie röchelte. Milan zog sein Messer einige Millime-
ter zurück und wiederholte seine Frage.
Erneut bejahte Sylvie die Frage.
Milan warf Goldman einen triumphierenden Blick zu.
Er hatte sich also nicht geirrt. Er irrte sich nie.
»Wo sind die Fotos?«
»Weggeworfen ...«, gurgelte Sylvie.
Milan runzelte die Stirn und beugte sich über das
Mädchen.
»Was sagst du?«
»Wir haben den Film in die Mülltonne geworfen.«
Sylvie spürte einen brennenden Schmerz am Gau-
men.
»Hältst du mich für blöd?« knurrte Milan.
»Wir haben sie in die Mülltonne geworfen«, jammerte
Sylvie. »Ich schwöre es.«
Milan wollte ihr bereits in die Wange schneiden, als er
es sich plötzlich anders überlegte und beinahe über-
rascht innehielt.
»Was heißt >wir« fragte er.
Sylvie zögerte. Milan ritzte ihr die Zunge auf.
»Es wäre besser für dich, den Mund aufzumachen,
blöde Gans!« drohte Milan. »Du warst in jener Nacht
also nicht allein?«
»Nein.«
»Zu wievielt wart ihr?«
»Zwei.«
»Ein Kerl?«
»Ja.«
»Wohnt er bei dir?«
»Nein.«
»Hat er die Fotos weggeworfen?«
»Ja.«
»Hast du gesehen, wie er die Fotos weggeworfen
hat?«
»Ja.«
In diesem Augenblick log Sylvie, ohne sich dessen
wirklich bewußt zu sein. Sie war nach wie vor über-
zeugt, daß Mouss den Film tatsächlich in die Mülltonne
geworfen hatte, und dachte nicht einen Moment daran,
daß ihr Geliebter sie belogen haben
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