Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Mauern steht«, meinte er dann. »Für eine Frau mitunter mehr als für einen Mann – bei einer Kapitulation werden die Kämpfer gewöhnlich geschont. Aber von den Frauen, zumal den jungen und schönen, erwartet der Feind Entgegenkommen … Und ob unser Herr Vaclav dich dann beschützt?«
Kapitel 2
M agnus von Lund stand im Morgengrauen an der Reling eines der bauchigen Schiffe, die das Heer des Königs Waldemar von Dänemark nach Rujana brachte. Mit äußerst gemischten Gefühlen blickte er zu der Küste hinüber, die er fünf Jahre zuvor voller Angst, Trauer, aber auch Dankbarkeit verlassen hatte. Hier war Herr Gisbert gestorben. Aber hier hatte er auch das rothaarige Mädchen kennengelernt, dem er sein Leben verdankte. Magnus tastete nach dem Fetzen des grünen Tuches, den er stets als Glücksbringer bei sich trug. Das Zeichen seiner Dame, wie andere Ritter ihn neckten. Gab es doch in den letzten Jahren immer mehr junge Streiter, die stolz Bänder oder andere Kleinigkeiten an ihre Lanzen hefteten, die ihnen von ihrer Minneherrin verehrt worden waren.
Allerdings war es nicht ganz einfach, sich auf der Burg zu Braunschweig zu verlieben. Gewöhnlich lebten Ritter und Frauen streng voneinander getrennt, der Haushalt Herzog Heinrichs galt nicht als Minnehof. Aber das mochte sich bald ändern, wenn die neue Fürstin, die demnächst aus Britannien erwartet wurde, erst mal das Zepter ergriffen hatte. Minne war ohnehin ein zu großes Wort für das, was da zwischen Magnus und dem ranischen Mädchen gewesen war. Vielleicht nannte man es eher … Freundschaft? Oder Seelenverwandtschaft? Magnus wusste nicht, wie er das Gefühl benennen sollte, das durch Amra in ihm erwacht war.
Aber nun näherte er sich ihrer Insel, um Rache zu nehmen. Sein König Waldemar hatte keinen Zweifel daran gelassen: Diesmal würde das Land des Königs Tetzlav erobert und christianisiert werden – wenn es sein musste, mit Feuer und Schwert. Bischof Absalom von Roskilde hatte es den Rittern vor der Abfahrt farbig geschildert: Das Bildnis des Götzen Svantevit würde brennen, und noch bevor die Dänen wieder absegelten, würden auf Rujana die ersten Kirchen stehen.
König Waldemar und sein Waffenbruder Heinrich von Sachsen und Bayern spekulierten zudem auf den Tempelschatz. Wobei Magnus weder seinem Verwandten Waldemar noch seinem Ziehvater Heinrich schnöde Gier unterstellen wollte. Beide hatten sich zuvor schon für die Christianisierung der Slawen eingesetzt, Heinrich hatte 1163 den benachbarten Stamm der Zirzepanen und ein Jahr nach Magnus’ Eintritt in seinem Hof auch die Obodriten unterworfen. Ihr Fürst Pribislav hatte sich daraufhin taufen lassen und war nun Heinrichs Lehnsmann. Auch seine Männer befanden sich heute auf den Schiffen der Dänen. Bischof Berno hatte ihn rekrutiert, am Feldzug gegen die Ranen teilzunehmen. Magnus fragte sich, ob die Bischöfe Absalom und Berno die Insel- und Festlandgebiete der Ranen schon im Vorfeld unter sich aufgeteilt hatten, oder ob sie das später ihren Königen und Fürsten überlassen würden.
Aber sosehr er auch versuchte, sich auf strategische Fragen zu konzentrieren: Seine Gedanken wanderten doch stets wieder zurück zu dem Mädchen Amra. Ob es noch auf Rujana lebte? Höchstwahrscheinlich, schließlich war es keine Prinzessin oder Fürstentochter gewesen, die man oft in ferne Länder verheiratete. Aber verheiratet könnte Amra durchaus schon sein. Wenn sie nicht … wie immer, wenn Magnus an sie dachte, schlich sich auch dunkle Furcht in die Überlegungen. Amra könnte tot sein. Gestorben an seiner statt, wenn man sie bei der Tempelschändung ertappt hatte. Der Kapitän hatte ihm auf der Überfahrt die Bräuche der Ranen erklärt, ihm war inzwischen klar, was Amra riskiert hatte, als sie im richtigen Moment einer Hausratte die Freiheit gab. Das warme Gefühl, das er für das Mädchen hegte, hatte sich daraufhin noch gesteigert.
»Was tut Ihr, Herr Magnus, haltet Ihr Ausschau nach Piraten?« Die launige Stimme des Herrn Albrecht, der das Heereskontingent führte, das Herzog Heinrich geschickt hatte, riss Magnus aus seinen Gedanken. »Da besteht keine Gefahr, ich wette, wir werden alle Ortschaften an der Küste verlassen vorfinden. Die Kerle wagen sich nur zu ihren eigenen Bedingungen in die Seeschlacht, einer Kriegsflotte fahren sie mit ihren kleinen Booten nicht entgegen. Stattdessen verschanzen sie sich mit Frauen und Kindern auf ihren Burgen. Keine schlechte Taktik, übrigens. Es kann recht
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