Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
sprach. Das Dänenheer und die Männer von Herzog Heinrich hatten den ganzen Tag damit verbracht, die umliegenden Wälder zu roden, um das Heerlager zu vergrößern und Holz für die Rammböcke heranzuschaffen. Lediglich Albrecht und Magnus hatten keinen Beitrag dazu geleistet, sondern schon früh den König und seine Ratgeber aufgesucht. Wie zu erwarten gewesen war, gab es etwa so viele Meinungen wie Männer, als Albrecht seine Idee zum Angriff auf Arkona dargelegt und Magnus sie übersetzt hatte. Einer der Pommernfürsten fand den Vorstoß feige, der nächste genial. Fürst Pribislav schien sich Sorgen darum zu machen, dass Svantevit vielleicht doch einschreiten könnte, wenn man sein Heiligtum angriff – wagte das aber vor den Bischöfen nicht zu äußern. Bischof Absalom fand, jede List habe den Segen Gottes, wenn sie nur den richtigen Zielen diene, während Bischof Berno den Einfluss der Schlange sah und verdeckte Vorstöße ablehnte.
Waldemar von Dänemark schenkte ihnen allen nicht viel Beachtung, sondern sprach lange mit Magnus. Am Ende glaubte der junge Ritter, wirklich jeden Augenblick seiner Gefangenschaft in der Burg noch einmal durchlebt zu haben, denn der König ließ sich bis zu den Strohhalmen in der Kerkerzelle alles genauestens beschreiben. Und traf schließlich seine Entscheidung.
»Wir machen es. Es muss Gott wohlgefällig sein, diesen Feldzug abzukürzen. Und ich werde das Heer gleich von unserem baldigen Sieg in Kenntnis setzen!«
Genau darauf schien er sich wie ein Kind zu freuen, als er das Dänenheer nun auf einer der neu geschlagenen Waldlichtungen versammelte. Auch Pribislav hatte seine Männer widerwillig herbeizitiert. Die pommerschen Kontingente blieben der Versammlung fern, aber die Krieger hätten ohnehin kein Wort von Waldemars Rede verstanden. Für die Sachsen übersetzte Magnus.
»Voller Freude und Anerkennung sehe ich Euer Werk, Männer!«, begann Waldemar mit Blick auf die Holzarbeiten, und der Wind zerzauste sein halblanges blondes Haar. »Ihr wart überaus fleißig, aber ich sage Euch: All Eurer Mühe hätte es nicht bedurft. Während ich heute Mittag sinnend in meinem Zelt saß und Gott um Beistand für unser Vorhaben bat, erschien mir der heilige Vitus und prophezeite mir einen baldigen, unblutigen Sieg! Sankt Vitus offenbarte mir, dass er den Ranen zürne, hätten sie doch schon einmal versprochen, das Christentum anzunehmen und ihre Götzen zu stürzen, wenn König Erik, der die Burg damals erobert hatte, sie nur verschonte. König Erik hatte sie damals unter den Schutz des heiligen Vitus gestellt, denn wer unter den Heiligen wäre besser geeignet, ein blasphemisches Holzbildnis des Götzen zu stürzen, das seinem heiligen Namen spottet?«
Tatsächlich hatte es unter christlichen Geistlichen immer Spekulationen darüber gegeben, ob Svantevit möglicherweise eine Verballhornung des Namens des heiligen Vitus sei. Schließlich hatten Mönche aus Corvey schon früh im slawischen Raum missioniert, und der Heilige war Schutzpatron ihres Klosters.
»Sankt Vitus jedenfalls gedenkt, das nicht weiter zu dulden!«, donnerte König Waldemar jetzt in die Menge, wobei seine hellblauen Augen blitzten. »Er enthüllte mir, dass wir an seinem Festtag, dem 15. Juni, alle Schande rächen werden. Der Heilige selbst wird die Feste derer zertrümmern, von denen er diese einem Ungeheuer so ähnliche Gestalt bekommen hat! Lasset uns beten und ihm dafür danken!«
Waldemar führte nicht näher aus, wie er sich diesen Sieg vorstellte, das Heer jubelte ihm jedoch begeistert zu und fiel in sein anschließendes Gebet mit ein. Nur Pribislavs Leute applaudierten etwas verhalten. Gut, sie waren nun Christen, aber ob es nicht doch gefährlich war, ihren alten Gott herauszufordern?
Waldemar, der dies bemerkte, lächelte seinen jungen Verwandten Magnus strahlend an, als die beiden hoch zu Ross die Lichtung verließen.
»Wenn wir den Götzen vom Thron gestoßen haben, werden sie glauben!«, erklärte er euphorisch. »Auch die Aufgabe, diese Männer zu wahren Christen zu machen, Magnus, liegt jetzt in deiner Hand!«
Kapitel 3
A mra wanderte mit einem Korb voller Lebensmittel durch die Menge der Menschen, die auf dem Tempelvorplatz lagerten. Die Burganlage war hoffnungslos überfüllt. Die Bevölkerung des gesamten nördlichen Rujana hatte sich in die Festung geflüchtet, und es gab längst nicht für alle Familien ein Dach über dem Kopf oder auch nur die Möglichkeit, ein Zelt aufzuschlagen. Nur
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