Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
morgen dachte er sich wahrscheinlich wieder etwas anderes aus, um ihr zu gefallen.
»Kommst du denn nun mit nach Karentia, wo immer das liegt?«, fragte einige Stunden später Dschamila, während Amra ihr Perlenschnüre ins Haar flocht. Inzwischen war sie äußerst geschickt darin, die jungen Frauen zu frisieren. »Ich möchte, dass du mitgehst.«
»Und der König hat diesbezüglich schon anderweitig entschieden!«, unterbrach Basima ihre Freundin. »Bei Allah, Dschamila, hast du denn immer noch nicht genug von dieser komischen Sprache aufgeschnappt, um wenigstens das Wichtigste zu verstehen?«
Dschamila zuckte mit den Schultern und knabberte an ihrem Honigkuchen. Sie war die sanftere und phlegmatischere der jungen Frauen. Basima interessierte sich für die Welt der Slawen auf Rujana, in die es sie verschlagen hatte, für ihre Freunde und Feinde, ihre Bräuche und ihre Götter. Wobei Amra natürlich längst herausgefunden hatte, dass die beiden Orientalinnen wieder einen anderen Gott anbeteten als Herr Baruch und Herr Adrian. Ihr Allah, wie sie ihn nannten, hatte allerdings mehr Gemeinsamkeiten mit den Göttern der Juden und Christen als mit Svantevit und den anderen Gottheiten der Ranen. Basima stellte stets viele Fragen, während es Dschamila reichte, Musik zu machen, ihre Schönheit zu pflegen und sich verwöhnen zu lassen.
»Ich hab ganz gut verstanden!«, gab Dschamila jetzt allerdings beleidigt zurück. »Der König sagte, es gebe genug Dienstboten auf Karentia, wir bräuchten niemanden mitzunehmen, er gehe nur mit dem Hof, mit der Familie, ohne Diener. Aber Amra ist doch nicht irgendeine Dienerin … Wie sollen wir uns schön machen ohne sie?«
Basima lachte. »Der Einwand war gut, in diesem Fall hat da allerdings noch ein anderer die Hand im Spiel. Was ist zwischen dir und diesem Herrn Vaclav, Amra? Der will nämlich unbedingt, dass du auf Arkona bleibst.«
Amra horchte auf. Vaclav wollte, dass sie blieb? Würde er denn nicht mit der Königsfamilie auf die Burg im Inland ziehen? Die Übersiedlung des Hofes nach Karentia war seit einigen Tagen in aller Munde. In anderen Ländern war es wohl üblich, dass der König mit seiner Familie von Pfalz zu Pfalz zog, um Gericht zu halten und mit seinen Lehnsleuten in Kontakt zu bleiben. Aber Tetzlav hatte bislang keine Anstalten gemacht, allenfalls war er ein paar Tage mit einigen seiner Ritter unterwegs gewesen, um die anderen Burgen der Insel zu inspizieren. Die Menschen in Vitt und Puttgarden fragten sich nach den Gründen.
»Dein Vaclav erhält die Befehlsgewalt über diese Burg hier«, klärte Basima die Freundin nun auf, nachdem Amra ihr Verhältnis zu Vaclav kurz umrissen hatte. »Er bleibt mit einigen Rittern, und er hat sich wohl ausbedungen, dass auch du bleiben sollst. Der König hat’s gestattet, bevor Dschamila ihn umgarnen konnte. Und er bleibt bei seinen Entscheidungen.«
Basima und Dschamila verehrten ihren ranischen Herrn nach wie vor.
»Und du solltest den Herrn Vaclav auch freundlicher behandeln«, fügte Dschamila hinzu. »Nach dem, was der König sagt, will er dich zur Frau, trotz deiner niedrigen Stellung hier! Das heißt, du würdest reich sein und angesehen und Teil der Familie des Fürsten. Das solltest du nicht leichtfertig vertun, nur weil du den Mann nicht leiden kannst.«
Dschamila und Basima waren beide etwas unglücklich darüber, dass es ihrem König nicht freistand, mehr als eine Frau zu ehelichen. In ihrem Land durfte ein Mann bis zu vier Ehefrauen haben, und die beiden waren überzeugt, dass Tetzlav sie längst in diesen Stand erhoben hätte, wäre es ihm möglich gewesen.
Amra ließ Dschamilas Mahnung unkommentiert. Um den Preis einer Ehe mit einem ungeliebten Mann mochte sie nicht erhöht werden. Amra träumte von der Liebe zu einem minniglichen Ritter, eine Vorstellung, die sie höfischen Erzählungen und den Liedern der Troubadoure verdankte, die gelegentlich auch den Hof des Königs Tetzlav besuchten. Zu selten in den Augen der Königin Libussa, die Amras Begeisterung teilte. Zumal ihr die Möglichkeit verschlossen blieb, die Geschichten selbst zu lesen. Libussa war schon älter und hatte keine höfische Erziehung genossen, wie adlige Mädchen sie an den moderneren Höfen des Abendlandes inzwischen erhielten. Sie konnte weder lesen noch verstand sie Französisch – die Sprache, in der die meisten Minnelieder abgefasst waren. Amra hatte schon als kleines Kind von Herrn Baruch lesen gelernt, und der Kaufmann brachte ihr
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