Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Schopf des Magnus von Lund Ausschau hielt. Das war natürlich verrückt. Wie kam sie darauf, dass er dort unten sein könnte? Aber es hieß, Heinrich der Löwe habe Truppen geschickt. Und war Magnus nicht verwandt mit dem König der Dänen?
Amra rieb sich die Stirn. Und kämpfte gegen die Vielfalt der Gefühle an, die sie kaum unterscheiden konnte. Wenn Magnus wirklich dort unten sein sollte – empfand sie dann Furcht? Vor ihm oder um ihn? Oder … Hoffnung?
Magnus von Lund lagerte in der äußersten Ecke des Tempelbezirks von Arkona, und der junge Obodritenritter Bohdan hinderte ihn seit Stunden fast mit Gewalt daran, sich zu bewegen und mehr Laute von sich zu geben als allein ein Stöhnen. Bohdan hätte auch ein geschützteres Versteck vorgezogen als diesen Verschlag nahe dem inneren Burgwall, den ihnen eine Familie aus Puttgarden freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Aber die Burg war hoffnungslos überfüllt, nicht einmal mit dem »Verletzten« hatte man Bohdan einen Platz unter einem festen Dach anweisen können. Dabei hatte seine Geschichte für größtes Mitgefühl unter den Ranen gesorgt. Magnus war die Fürsorge der Menschen für die den Dänen so listig entkommenen »Köhlerjungen« geradezu peinlich. Es widersprach all seinen Grundsätzen als Ritter, sich nicht nur unter falschem Vorwand in eine Burg einzuschleichen, sondern den sich darin befindenden Menschen dann auch noch den Platz wegzunehmen – mal ganz abgesehen von dem Vorhaben, ihnen später die Häuser über dem Kopf anzuzünden.
Bohdan schien da weniger Skrupel zu haben. Zumindest erzählte er seine Geschichte ganz unbedarft allen, die sie hören wollten, und schmückte sie eifrig aus. Er war auch ausgesprochen stolz darauf, von seinem Fürsten für diese Mission auserwählt worden zu sein, während König Waldemar gar nicht so glücklich gewesen war, den Obodritenfürsten Pribislav mit in die List einzuweihen. Am liebsten hätte er Magnus allein in die Burg geschickt und einen möglichen Erfolg der Mission als alleinigen Verdienst des heiligen Vitus ausgegeben. Aber Albrecht überzeugte ihn davon, dass dies aussichtslos war. Magnus’ slawische Sprachkenntnisse beschränkten sich auf das Wort »Heringe«. Damit wäre er nie und nimmer an den Wächtern der Burg vorbeigekommen. Natürlich hätte er versuchen können, bei Nacht und Nebel über die Erdwälle und hölzernen Palisaden zu klettern. Aber mit Bohdans Hilfe war es einfacher gewesen, und der junge Obodritenkrieger hatte die Rolle des Köhlerjungen, der seinen schwer verwundeten Bruder mit letzter Kraft in die Burg gerettet hatte, überzeugend gespielt. Magnus hatte sich nur mitschleifen lassen und ein wenig stöhnen müssen. Niemand hatte sich davon überzeugen wollen, ob die blutigen, um seine Brust gewickelten Stofffetzen tatsächlich eine Wunde verbargen. Die beiden Ritter hatten ihre Gesichter und ihr Haar mit Holzkohle verschmiert, was ihre Herkunft glaubwürdig machte und ihnen obendrein Tarnung bei ihrem nächtlichen Vorhaben bot.
Ein genialer Plan – wenn er nur nicht so viel Geduld erfordert hätte. Magnus mochte nicht weiter den Halbtoten spielen, er brannte darauf, aufzustehen und sich in der Burg zu orientieren. Wobei er sich nicht eingestand, dass er nicht nach dem Svantevit-Tempel, sondern eher nach einem Mädchen mit langem rotem Haar Ausschau hielt.
»Du still liegen, Augen zu, warten!«, herrschte Bohdan ihn auch jetzt wieder an. »Wir gehen, wenn Licht weg. Und Mann weg – mit Glück …«
Der junge Slawe hatte aufgeschnappt, dass in der Nacht eine Sitzung der Volksversammlung anberaumt war. Er hoffte, dass die Männer der um sie herum lagernden Familien dorthin gehen würden, die Kinder bald einschliefen und die Frauen leicht mit einer Ausrede zu beschwichtigen wären, wenn er Magnus dann aufhalf und ihn durch die Menge zerrte.
»Du nachdenken, was anzünden«, gab Bohdan seinem Mitstreiter jetzt wenigstens eine Aufgabe. »Zünden an Palas beste. Töten alle Männer …«
Magnus durchfuhr es kalt bei dem Gedanken. Den Rittersaal an allen vier Ecken anzünden? Die Männer der Volksversammlung verbrennen? So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. Magnus fühlte sich vage verbunden mit den Männern von Vitt. Schließlich hatten sie ihm damals zur Tarnung bei der Flucht gedient. Ritterlich war Brandstiftung auch nicht. Und dann … er würde Amra nie wieder vor die Augen treten können, wenn er ihre Freunde und Verwandten tötete …
Amra war
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