Die Geisel von Zir
Silberton gewichen.
Mit der Gewissheit, dass sich in der näheren Umgebung keine weiteren Wachtposten außer Najjim aufhielten (und der hatte anderes im Sinn, als nach entsprungenen Gefangenen zu lauschen), betrat Reith den Wald. Vorsichtig, bei jedem Schritt erst behutsam vorfühlend, ob er nicht auf einen trockenen Zweig trat, tastete er sich vorwärts durch die Dunkelheit.
Zu seiner Rechten vernahm er schwache Geräusche. Er blieb stehen und spitzte die Ohren. Einen Augenblick herrschte Stille; dann hörte er ein leises Kichern, in dem er Valerie Mulroy wieder erkannte, gefolgt von Najjims tieferem Tonfall.
Er hielt sich nach links, um sicherzugehen, dass er nicht über das Liebespaar stolperte. Nach ein paar Schritten blieb er erneut stehen und spähte nach rechts. In einiger Entfernung bewegte sich etwas. Etwas Längliches, Dunkles, gesprenkelt von Mondlichttupfern, lag, halb verdeckt von Gesträuch, auf dem Waldboden und bewegte sich, erst verhalten, dann immer schneller werdend, in geschmeidigem Rhythmus auf und ab.
Reith kniff den Mund zusammen, um ein Kichern zu unterdrücken. Da er um Valeries Ausdauer wusste, konnte er sich vorstellen, dass sie auch den guten Najjim bis an den Rand der Erschöpfung bringen würde. Jedenfalls würde er diesen Ritt nicht so bald vergessen.
Karrim immer rechts von sich haltend, tastete sich Reith vorsichtig durch den Wald. Nach einer Weile wurde das Unterholz spärlicher, und er kam leichter voran. Immer wieder versuchte er sich die Topographie der Landschaft zwischen dem Lager und dem Kehar-Berg in die Erinnerung zu rufen, so wie er sie von dem Baum aus gesehen hatte …
Plötzlich legte sich eine haarige Pranke von hinten über seinen Mund, und gleichzeitig fühlte er sich an Armen und Beinen gepackt und hochgehoben. Die Hand verschwand wieder von seinem Mund; doch als er seine Lungen füllte, um zu schreien, wurde ihm ein Knebel in den Rachen gestopft.
Ein paar Minuten später hing er, an Handgelenken und Fußknöcheln gefesselt, hilflos an einer Tragstange. Soweit er das in der Dunkelheit erkennen konnte, waren seine Fänger geschwänzte Krishnaner, wie er sie schon mehrmals als Sklaven gesehen hatte. Ihr größtes unabhängiges Siedlungsgebiet in der Gegend von Novorecife waren die Koloftsümpfe, und in den meisten Varasto-Sprachen wurden sie Koloftuma genannt.
Die Koloftuma schlugen einen flotten Schritt an. Die Stange, an der Reith baumelte, ruhte auf den Schultern zweier Träger; die anderen – wie viele, vermochte Reith nicht genau zu erkennen – gingen vor und hinter ihm.
Hatte Reith den Ritt auf dem Aya vom Kehar-Berg zu Barres Lager als unbequem empfunden, so erschien er ihm im Vergleich zu dieser Fortbewegungsart im nachhinein als der Gipfel des Komforts. Aber seine Häscher trotteten unermüdlich vorwärts, ohne seinem Ächzen und Stöhnen auch nur die geringste Beachtung zu schenken.
9
Der goldene Schädel
A ls Reith schon fast einer Ohnmacht nahe war, kamen sie auf eine Lichtung. Dort warteten andere mit Laternen. Da Karrim inzwischen untergegangen war, vermochte Reith kaum etwas von diesen anderen zu erkennen. Ihren Stimmen und ihren Umrissen nach zu schließen, handelte es sich bei ihnen um gewöhnliche schwanzlose Krishnaner.
Die geschwänzten Krishnaner sprachen mit den neuen in einem Dialekt, den Reith nicht verstand. Die Koloftuma setzten Reith ab, lösten seine Fesseln und befreiten ihn von dem Knebel. Andere halfen ihm auf die Beine und stützten ihn, bis das Blut in seine abgestorbenen Arme und Beine zurückgekehrt war.
Als er ohne fremde Hilfe stehen konnte, fielen die Krishnaner zu seiner Verblüffung rings um ihn herum auf die Knie. Einer sagte auf Durou: »Sei gegrüßt, o edle Gottheit!«
»Wer, ich?« fragte Reith verdutzt. Ein paar Krishnaner führten Ayas auf die Lichtung.
»Ja, Ihr, o Gottheit. Wir sind gekommen, Euch zu unserer Herrin, der Göttlichen Beschützerin, zu bringen. Habt die Güte und steigt auf und reitet mit uns. Doch versucht nicht zu entfliehen, denn die Koloftuma können Euch mit Leichtigkeit wieder aufspüren.«
»Wenn ich so göttlich bin, warum wendet ihr dann Gewalt gegen mich an?«
»Es wird sich alles aufklären, sobald wir Euch zu ihrer Rechtschaffenheit gebracht haben. Bitte steigt auf diesen Aya.«
Reith erwog sekundenlang die Flucht, verwarf jedoch diesen Gedanken sofort wieder. In seiner gegenwärtigen Verfassung hätten sie ihn nach hundert Metern schon wieder eingeholt. Mit
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