Die Geisel
schnupperte an ihren frisch gewaschenen Haaren und küsste ihren Hals. »Du hast mir gefehlt«, flüsterte er.
Sie schmiegte sich lächelnd an ihn. »Du hast mir auch gefehlt.«
Er strich ihr übers Haar. »Und meinen Platz im Schlafzimmer hast du noch nicht vermietet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der ist immer noch da, Stig.«
»Ich könnte uns heute Abend etwas zu essen machen. Und danach gehen wir früh ins Bett, was hältst du davon?«
»Ich liebe es, wenn du kochst.« Sie gab ihm einen raschen Abschiedskuss und stand auf. Als sie die Tür erreichte, drehte sie sich noch einmal um. »Das muss schrecklich für Timmies Eltern sein.«
»Was meinst du?«
»Wir haben Walther begraben, den wir nie lebend gesehen haben. Und sie müssen ihren Jungen begraben, von dem sie nicht wissen, ob er tot ist.«
Stig schaute sie traurig an. »Ja, das muss … furchtbar schwer sein. Bis du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Sie nickte.
Auf dem Weg zu ihrem Auto rief sie Katrine an, aber die Nummer war besetzt. In diesem Moment überquerte Hendriksen mit eiligen Schritten die Straße. Er sah so aus, als habe er den ganzen Morgen nur darauf gewartet, dass sie das Haus verließ. »Haben Sie schon gehört?«, fragte er atemlos. »Man sollte ihm eine Medaille verleihen. Oder ihn begnadigen.« Lächelnd strich er sich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnurrbart.
Maja nickte pflichtschuldig.
Hendriksen trug das T-Shirt der Bürgerwehr, obwohl diese schon seit einiger Zeit ihren Dienst eingestellt hatte. »Für so einen ist das Gefängnis noch viel zu gut. Sie sind doch bestimmt sehr erleichtert.«
»Ich bin schon ein bisschen spät dran«, sagte sie und stieg in den Wagen.
»Gott bewahre«, entgegnete er und warf ihr einen missbilligenden Blick zu.
»Sie blickte in den Rückspiegel, während sie die Straße hinunterfuhr. Hendriksen glotzte ihr hinterher. In seiner Gegenwart hatte sie stets ein mulmiges Gefühl. Wenn sie daran dachte, wie er sich aufspielte und seine Nase ständig in Dinge steckte, die ihn nichts angingen, wurde ihr übel.
Der Morgen verging wie im Flug. Die Praxis war deutlich unterbesetzt, und die Kollegen freuten sich über Majas Rückkehr. Zwischen den Behandlungen versuchte sie vergeblich, Katrine anzurufen, aber sie erreichte immer nur deren Mailbox und hatte keine Lust, ihr eine Nachricht zu hinterlassen. Bereits vor der Mittagspause hatte sie zweiunddreißig Patienten durchgeschleust. Das war ihr neuer persönlicher Rekord.
Katrines beharrliches Schweigen frustrierte sie. Dass Søren tot war und die Chancen, Timmie zu finden, gegen null gingen, war das eine. Ein nagendes Gefühl, plötzlich beiseitegeschoben zu werden, das andere. Es war ein absurder Gedanke, dennoch hatte sie das Gefühl, es wäre ihr Fall. Sie fühlte sich ebenso zuständig wie Katrine und die Polizei.
Schließlich rief sie auf dem Polizeirevier an und fragte nach Polizeirätin Katrine Bergman.
»Einen Augenblick, bitte«, sagte der wachhabende Beamte und stellte die Verbindung her.
»Tom Schæfer«, hörte sie am anderen Ende der Leitung.
Sie wollte schon nach Katrine fragen, doch irgendwas hielt sie zurück. Sie legte auf. Es gab keinen Grund, andere mit hineinzuziehen. Es war eine Sache zwischen ihr und Katrine.
Sie schrieb ihr eine SMS und fragte, was sie mit Sørens Buch machen sollte. Es war jetzt Viertel nach eins. Sie konnte immer noch schnell die entsprechenden Zeichnungen aus dem Buch kopieren, ehe der nächste Patient an der Reihe war.
Im kleinen Kopierraum neben dem Sekretariat war es warm. Maja mochte den metallischen Geruch, der hier herrschte. So wie sie den Geruch von Benzin mochte, wenn sie tankte. Der Kopierer war ein ziemlich kompliziertes Gerät, mit dem sie immer noch nicht ganz vertraut war. Nach ein paar missglückten Versuchen hatte sie es geschafft, ihn so einzustellen, dass er Sørens Zeichnungen vergrößerte und im A3-Format ausspuckte. Sie überprüfte die ersten Bögen und entdeckte dabei mehrere Details, die ihr bisher entgangen waren. Jetzt konnte sie gotische Schriftzeichen, Totenköpfe, Federschmuck und Tomahawks ausmachen. Die vergrößerten Zeichnungen waren ihr unheimlich.
»Oh, muss ich mich hinten anstellen?«
Sie drehte sich um.
Skouboe lächelte sie aus der Türöffnung an. »Dann kannst du mir vielleicht später helfen«, sagte er und ging zu ihr.
»Natürlich«, antwortete sie und drehte rasch die ausgedruckten Bögen um. »Du kannst mir die Sachen einfach
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