Die Geisel
das war ein gutes Stück die Straße hinunter, und ich glaube auch nicht, dass er was damit zu tun hat.«
Tom nickte. »Okay. Erst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass ich Ihre Aufregung gut verstehen kann. Bei all dem Wirbel, den die Sache in den Medien verursacht hat, ist man natürlich besonders empfindlich. Und angesichts der Tatsache, dass Sie, Maja, eines der Opfer mit eigenen Augen gesehen haben, ist es nur natürlich, dass Sie so reagieren.«
Maja hatte das Gefühl, dass Tom Schæfer erst kürzlich einen Psychologiekurs absolviert hatte. Doch seine frisch erworbene mitfühlende Art beruhigte sie kein bisschen. »Die Karte lag ja schließlich in unserem …«
Tom lächelte begütigend. »Natürlich. Aber ich glaube nicht, dass Sie etwas zu befürchten haben. Den ganzen Sommer hindurch bekommen wir tagtäglich circa zehn Hinweise von Leuten, die etwas Ähnliches erlebt haben wie Sie.«
»Haben Sie auch Postkarten bekommen?«
Tom nickte. »Postkarten, Anrufe, Glanzbilder, Zeichnungen. Letzte Woche ging es um ein paar Jungs, die sich Faschingsmasken aufgesetzt hatten und mit Taschenlampen bei fremden Leuten durchs Fenster leuchteten. Ein älteres Ehepaar war zu Tode erschrocken.«
Sie schaute die Karte an, während sich ihre Finger um Stigs Hand schlossen. Plötzlich war sie ziemlich kleinlaut. »Es tut mir leid, wenn ich überreagiert habe.«
Tom Schæfer schüttelte den Kopf. »Davon kann keine Rede sein. Es ist ein gutes Gefühl, so aufmerksame Mitbürger zu haben.« Er lächelte beide an. Stig sah zu Boden.
»Ich habe Ihre Aussage zu Protokoll genommen. Wenn Sie keinen konkreten Verdacht haben, wer hinter dem Jungenstreich stecken könnte, dann können wir im Moment wohl nichts mehr für Sie tun.«
Maja nickte. »Vielen Dank, wir wollen Ihnen auch keine weiteren Umstände bereiten.«
Tom stand auf. »Danke für Ihren Besuch.« Er zeigte lächelnd auf die Tüte.
»Ist das ein Gefrierbeutel, in den Sie das Bild gelegt haben?«
Sie lächelte zaghaft. »Normalerweise bewahre ich darin mein Müsli auf.«
»Vielleicht sollten wir darin unsere Beweisstücke sammeln, er scheint seinen Zweck ja sehr gut zu erfüllen«, entgegnete er munter. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«
Sie blickte Tom nach, der hinter die Theke ging und in einem der angrenzenden Räume verschwand. Maja steckte die Karte in ihre Handtasche. »Hilfst du mir hoch, Stig?«
Die Sonne blendete sie, als sie auf den Parkplatz vor dem Polizeirevier traten. Maja klappte ihre Sonnenbrille nach unten, die sie sich ins Haar geschoben hatte. Sie hatte hämmernde Kopfschmerzen und konnte an nichts anderes als ein Glas Wasser denken.
»Wenn du willst, dann rede ich mal mit den Jungs, die ein Stück die Straße hinunter wohnen«, sagte Stig. »Bestimmt wollte einer von denen besonders witzig sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Ich glaube, wir sollten die Sache lieber auf sich beruhen lassen. Tut mir leid, dass ich so heftig reagiert habe.«
Sie schloss den Wagen auf und setzte sich hinein, schaltete sofort die Klimaanlage ein und war im nächsten Moment von kühler, wohltuender Luft umgeben. Sie befreite sie von dem abgestandenen Mief des Polizeireviers, der sich bereits in ihren Kleidern festgesetzt hatte. »Aber, Stig?«
»Ja?«
»Vielleicht ist diese Idee mit der Bürgerwehr doch nicht so schlecht.«
Sein Gesicht leuchtete auf. »Meinst du wirklich?«
Sie zuckte die Schultern. »Wenn es nur darum geht, dass man dort, wo man wohnt, die Augen offen hält, dann kann das ja nicht schaden.«
»Am Mittwochabend ist eine Besprechung bei Hendriksen.«
»Dann lass uns doch hingehen.«
Stig ballte die Fäuste. »Yes! Endlich kann ich meine alten Militärstiefel wieder anziehen. Du wirst staunen, wie ich den Stechschritt draufhabe.«
Sie tätschelte ihn zärtlich und legte den ersten Gang ein.
9
Hinter dem mehrstöckigen Wohnhaus gegenüber von Majas Büro ging die Sonne unter. Es war ein gesegneter Zeitpunkt, wenn die Strahlen nicht länger durch die Panoramafenster brannten.
Willkommen zu Hause, Wendy. Der Text der Postkarte ging ihr nicht aus dem Kopf. Seit ihrem Besuch auf dem Polizeirevier hatte sie ihn zu verdrängen versucht. Maja saß hinter ihrem Schreibtisch und trank aus der Plastikflasche mit stillem Mineralwasser. Sie sehnte sich danach, ihre immer enger werdende Umstandshose wieder loszuwerden. Die Zeit bis zur Entbindung schien ihr unendlich lang zu sein.
Sie zog die Karte aus ihrer
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