Die Geisel
Absender schließen.«
Maja spürte, wie ihr Mund trocken wurde. »Woran denkst du?«
»Es geht mir nur um seine Einschätzung, auch was die Jungenstreiche betrifft.«
Er nahm sich erneut das Glas und drehte es in der Hand hin und her. »Bei solchen Sachen gibt es doch stets einen Modus Operandi.«
»Bei welchen Sachen?«, fragte Maja beunruhigt.
»Bei Sexualverbrechen, wie sie gegenwärtig hier passieren. Vielleicht passt die Karte ja in dieses Bild.«
Sie wich seinem Blick aus. »Nein, ich glaube, das ist nicht notwendig. Ich will keine große Sache daraus machen«, sagte sie und ließ die Karte wieder in ihrer Tasche verschwinden.
Skouboe lächelte väterlich. »Ist wohl auch besser so. Wirf die Karte am besten in den Müll, und vergiss das Ganze.« Damit schloss er die Tür hinter sich.
Sie betrachtete den offenen Schrank und die Flasche Fernet Branca. In gewisser Weise war es ein Spaß, sie dort vor Skouboes Frau zu verstecken, die meinte, Alkohol habe in einer Arztpraxis nichts verloren. Maja hätte sich am liebsten selbst ein Gläschen eingeschenkt. Modus Operandi, dachte sie, die Methodik eines Verbrechens. Ihr schauderte. Jetzt freute sie sich fast auf das heutige Treffen der Hauseigentümer, auf dem eine Bürgerwehr gegründet werden sollte. Sie erwog, sich selbst als Bannerträger zu melden und gemeinsam mit Stig im Stechschritt zu marschieren, sofern ihr schwangerer Bauch das zuließ.
10
Der übergewichtige Bernhardiner der Familie Hendriksen trottete am Couchtisch vorbei, um den sich die anwesenden Gäste drängten. Er wedelte heftig mit dem Schwanz und war drauf und dran, den gedeckten Tisch leer zu fegen.
»Bamse, geh da weg!«, ermahnte ihn Frau Hendriksen in ihrem melodischen jütländischen Dialekt, während die Gäste versuchten, ihre Kaffeetassen zu retten. Sie war eine stämmige Frau mittleren Alters, die ein schwarz-weiß gewürfeltes Kleid trug, in dem sie wie ein riesiges Schachbrett aussah. Mit Mühe stemmte sie sich aus dem Sofa und dirigierte den Hund zu seinem Korb, der im Eingangsbereich stand.
Maja saß, eingeklemmt zwischen zwei älteren Damen, auf dem weinroten Ecksofa. Sie hatte die beiden nie zuvor gesehen und keine Ahnung, wo sie wohnten. Ihr schweres Parfum brannte ihr in der Nase. Von den vierzehn erschienenen Gästen kannte sie nicht einmal die Hälfte. Sie blickte zu Stig hinüber, der ihr gegenüber auf einem der Esstischstühle saß, die man wegen des großen Andrangs ins Wohnzimmer getragen hatte. Er versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, und sie konnte nicht anders als ihn anzulächeln.
Der Vorsitzende der Hausbesitzervereinigung hatte sich neben einem Flipchart aufgebaut. Er war ein schmächtiger Mann mittleren Alters. Sein präzise gestutzter Schnurrbart verlieh ihm ein militärisches Aussehen.
Die Tagesordnung stand in roter Schrift auf dem weißen Papier. Mit seinem roten Stift zeigte Poul Hendriksen auf Punkt 3, unter dem »Befugnisse der Bürgerwehr« stand. »In erster Linie kommt der Bürgerwehr eine überwachende Funktion zu«, sagte Hendriksen. Seine durchdringende Stimme zeugte von seiner Vergangenheit als Konrektor einer Schule.
»Und was machen wir, wenn der Mörder bei den Nachbarn gerade durchs Fenster steigt? Sollen wir dann etwa untätig rumstehen und zuschauen?«, wollte Lars-Erik wissen. Er war ein kleiner, kompakt gebauter Mann, der nie etwas anderes als Kansashosen und Holzfällerhemden trug.
Hendriksen musterte ihn kurz, als wäre er ein vorlauter Schüler, ehe er wieder über die Versammlung hinwegblickte. »Natürlich nicht«, antwortete er. »Dann alarmieren wir sofort die Polizei.«
Lars-Erik schüttelte den Kopf. »Und was soll das bringen, wenn die eine Stunde zu spät kommt?« Lars-Erik blickte von einem zum anderen. Die meisten wirkten ziemlich mutlos.
»Also, eine Stunde wird’s schon nicht dauern. Außerdem haben wir noch das hier …«
Hendriksen bückte sich und wühlte in einem Pappkarton neben dem Flipchart. Im nächsten Moment hielt er mehrere bunte Trillerpfeifen aus Plastik in der Hand.
»Sollen wir ihm damit etwa eins überbraten?«, fragte Lars-Erik.
Unter den Gästen brach ein unzufriedenes Murmeln aus.
Maja bekam fast Mitleid mit Hendriksen.
Der Vorsitzende der Hausbesitzervereinigung hob die Hände, um zur Ruhe zu mahnen. »Mit diesen Pfeifen kann die Wachpatrouille Alarm geben, damit wir ihr zur Hilfe eilen.«
»Hört mal her! Ich habe beste Verbindungen zu jemandem, der uns genau so ein Pfefferspray
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