Die Geisel
dann läuft jedenfalls alles darauf hinaus.«
Maja zuckte die Schultern. Die Art, wie er sie ansah, gefiel ihr nicht. Als versuchten seine kleinen stechenden Augen unter den buschigen Brauen in ihr Innerstes zu blicken.
»Sie hatten irgendeine Postkarte, die ich mir mal ansehen soll«, sagte er, indem er sich ungeduldig auf die Oberschenkel klopfte.
Maja nahm ihre Handtasche auf den Schoss und zog die Karte heraus.
Sie gab sie ihm und beschrieb in groben Zügen, wie sie die Karte bekommen hatte. Sie erzählte auch, dass die Polizei sie beruhigen wollte und sie ihn aufgesucht hatte, um die letzte Unsicherheit auszuräumen.
»Eine zweite Meinung einholen, wie?«, entgegnete Larsen lächelnd. Er riss die Tüte mit den Zähnen auf. Sie wollte protestieren, hielt sich jedoch zurück.
»Sieht ja eigentlich ganz harmlos aus«, sagte er und drehte die Karte hin und her.
»Ich glaube, ich hätte auch gar nicht weiter darüber nachgedacht, wenn in letzter Zeit nicht so viel von diesem Peter-Pan-Mörder die Rede gewesen wäre.
Larsen nickte. »Ja, die Zeitungen machen das Geschäft ihres Lebens. Aber ich frage mich, was Sie von mir erwarten.«
Sie zuckte die Schultern. »Ich dachte, Sie kennen vielleicht ähnliche Fälle. Erkennen die Methode. Oder die Handschrift. Den Modus Operandi«, fügte sie hinzu, um ihren Worten etwas mehr Gewicht zu verleihen.
Larsen schüttelte abwehrend den Kopf. »Die Polizei hat uns in letzter Zeit schon die Türen eingerannt und unsere Patienten auf unerhörte Weise schikaniert, deshalb bin ich ziemlich sicher, dass dieser Pan nicht von hier kommt. Und nein, die Handschrift erkenne ich auch nicht wieder.«
Sie rutschte ein wenig zur Seite, worauf ihr Stuhl unheilvoll knarrte. »Aber ganz ausschließen kann man es auch nicht?«
Larsen gab ihr die Karte zurück. »Ich sehe einfach nicht, warum jemand mit pädophilen Neigungen Ihnen solch eine Karte schicken sollte.«
»Und warum nicht?«
»Aus dem einfachen Grund … Weil ihn so etwas nicht erregen würde.« Er kratzte sich die Bartstoppeln, ehe er fortfuhr: »Solche Patienten werden ausschließlich von einem erotischen Impuls getrieben, der sich auf Kinder richtet. Und da Pädophile in der Regel große Schwierigkeiten haben, einen emotionalen Kontakt zu anderen Erwachsenen aufzubauen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Ihnen so jemand einen … Liebesbrief schreibt«, sagte er mit nachsichtigem Lächeln.
Maja ließ die Karte wieder in ihrer Tasche verschwinden. »Kann nicht vielleicht auch mehr dahinterstecken?«
Larsen zuckte die Schultern. »Normalerweise versucht so jemand, seine Übergriffe und seine Identität unter allen Umständen zu verbergen. Die Fantasien, die er auslebt, bleiben dem intimen Bereich zwischen ihm und dem Kind vorbehalten. Und um diese Fantasien zu entwickeln und zu bewahren, ist unbedingte Diskretion erforderlich.«
Sie schaute ihn aufmerksam an. »Könnte es ein Hilferuf von jemandem sein, der will, dass man ihn stoppt?«
Larsen wiegte den Kopf hin und her. »Theoretisch wäre das möglich, aber warum sollte er ausgerechnet zu Ihnen Kontakt aufnehmen?«
Sie biss sich nervös auf die Lippe. Diese Frage drängte sich tatsächlich auf. Es ließ sich nicht ausschließen, dass sich hinter dem Absender ein Nachbar, ein Patient oder ein ehemaliger Mitschüler verbarg. Jemand, der sie kannte.
Larsen zuckte die Schultern. »Auf der anderen Seite … Wenn Leute auf unserer Hotline anrufen, um Hilfe zu bekommen, dann haben sie meist lange mit sich gerungen. Was bedeutet, dass ihre Äußerungen sehr viel präziser sind als der Wortlaut der Karte. Aber der könnte natürlich so etwas wie ein erster Schritt sein.«
Maja sah ihn beunruhigt an. »Ein erster Schritt wozu?«
Larsen öffnete die Hände. »Zu einer Kontaktaufnahme. Nicht dass ich das glauben würde. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass jede Identifizierung und jedes Bekenntnis, das außerhalb einer medizinischen Behandlung stattfindet, eine soziale Ächtung des Betroffenen zur Folge hat. Er wird gefeuert, verliert seine Frau sowie das Sorgerecht für seine Kinder, wird öffentlich an den Pranger gestellt, landet im Gefängnis, muss auch mit gravierenden körperlichen Repressalien rechnen.«
Er sah bedrückt aus.
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir sehr leid, wenn sich mein Mitleid in Grenzen hält.«
Larsen streckte sich im Stuhl. »So geht es den meisten. Doch im Grunde ist die fortschreitende Stigmatisierung der Täter für alle
Weitere Kostenlose Bücher