Die Geisel
Seiten schädlich. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es abscheulich, was im wirklichen Leben und im Internet passiert, aber es hilft nicht, die Stimmung aufzuheizen, wenn irgendein Familienvater sich Fotos von badenden kleinen Mädchen anschaut. Die ganze Diskussion scheint mir ziemlich überdreht zu sein.« Larsen runzelte die Stirn.
Sie hatte sehr wenig Verständnis für seine Betrachtungsweise, wollte jedoch keine Diskussion um das Thema beginnen, das dem Oberarzt so am Herzen zu liegen schien. Deshalb war sie nicht zu ihm gekommen. »Wenn Sie sagen, die Karte könne durchaus ein Hilferuf sein, wie soll ich dann herausfinden, ob sich der Absender vielleicht unter meinen Patienten befindet?«
»Das dürfte in der Tat nicht so einfach sein.« »Sie haben für solche Täter doch bestimmt ein Profil erstellt.«
»Natürlich«, sagte Larsen und lächelte verhalten. Er schien froh über diese Frage zu sein. »Sexualstraftäter finden sich in allen Schichten der Gesellschaft. Man weiß allerdings, dass es sich in der Regel um Männer zwischen fünfundzwanzig und fünfundfünfzig handelt. Oft befinden sich diese Männer in einer tiefen Lebenskrise und sind seit langer Zeit einem wachsenden psychischen Druck ausgesetzt. Entweder - das ist die erste Kategorie - benutzen sie die Übergriffe als Mittel, um ihre Aggressionen abzubauen, oder - die zweite Kategorie - sie versuchen dadurch, Kontrolle zurückzugewinnen.«
Maja schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie man einem Kind etwas antun kann, ganz gleich, ob man sich nun in einer Krise befindet oder nicht.«
Larsen nickte. »Zu Beginn wissen die meisten Täter, dass ihr Drang verkehrt ist. Doch je stärker dieser Drang wird, desto mehr wird die psychische Barriere überwunden. Erst danach ist der Täter bereit, auch die physischen Barrieren zu überwinden.«
»Wie sehen die aus?«, fragte sie zögerlich.
»Die Isolierung des Opfers ist wichtig, um den Widerstand des Kindes zu bearbeiten. Der Fachausdruck dafür heißt Grooming. Sobald der Übergriff geschehen ist, beginnt der Täter, die Tat zu leugnen, was es ihm ermöglicht, seinen Übergriff fortzusetzen. Er redet sich ein, dass das Kind freiwillig mitmacht. Er ignoriert dessen Hilferufe und verleiht dessen Signalen eine erotische Bedeutung. Am Beginn der Therapie hören wir oft, dass das Kind es selbst gewollt, ja, den Täter in gewisser Weise verführt habe.«
Sie hatte Schwierigkeiten, ihre Abscheu zu unterdrücken. »Bezeichnen Sie diese Menschen als psychisch krank?«
»Es handelt sich natürlich um Patienten mit seelischen Leiden. Das zeigen schon die SCID-I- und SCID-II-Tests im Rahmen der psychiatrischen Untersuchung. Bei den meisten Patienten stellen wir eine dissoziale Persönlichkeit fest. Einen latenten Mangel an Empathie. Das ist es, was wir ihnen hier unter anderem beibringen wollen.«
»Indem Sie mit ihnen Golf spielen?«
Larsen lächelte sie nachsichtig an. »Bevor Karl festgenommen wurde, war er einer der besten Golftrainer unseres Landes. Besser, er kehrt auf den Golfplatz zurück als auf die Kinderspielplätze.«
»Da ist natürlich was dran«, entgegnete sie.
»Unsere Patienten haben eine sehr geringe Rückfallquote. Viele von ihnen halten sich völlig im Zaum, wenn die Therapie vorbei ist.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »In fünf Minuten habe ich eine Gruppentherapie.«
Maja nickte. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
»Keine Ursache. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass Sie etwas zu befürchten haben. Dieses eine Mal bin ich geneigt, der Polizei recht zu geben, dass es sich vermutlich nur um einen geschmacklosen Scherz handelt.«
»Das hoffe ich«, entgegnete sie und kämpfte sich hoch. »Nur eines würde ich gern noch wissen, aus reiner Neugier …«
»Ja?«
»Dieser Pan-Mörder, zu welcher der beiden von Ihnen erwähnten Kategorien gehört er?«
Larsen atmete tief ein. »Zu keiner von beiden.«
»Und was heißt das?«
»Der gehört zur dritten und letzten Gruppe. Zu den fünf Prozent, die wir als echte Pädophile bezeichnen.«
»Und wie unterscheidet sich diese Gruppe von den anderen?«
»Sie genießen das Sadistische ihrer Taten. Werden von ihren Übergriffen erregt. Für sie ist die Pädophilie eine Lebensweise, die sie nicht aufgeben wollen. Eine Lebensweise, mit der sie sich vollkommen identifizieren. So wie wir uns mit unserem Beruf, unserer Familie und unseren Hobbys identifizieren. Schlimmstenfalls sind sie bereit, ihre Opfer zu
Weitere Kostenlose Bücher