Die Geisel
Bestseller, wie ich höre.« Skouboe nahm einen Stuhl und setzte sich neben sie. »Alle wollen natürlich lesen, wovon der Verrückte sich inspirieren lässt.«
Maja nickte. »Es schadet nie, sich vorzubereiten.« Sie blickte nachdenklich über die Terrasse.
»Haben sie dir psychologische Hilfe angeboten?«
Maja nickte. »Ja, und ich habe dankend abgelehnt.«
Skouboe beugte sich vor. »Natürlich haben nicht alle diese Hilfe nötig, aber vielleicht solltest du doch lieber etwas anderes lesen«, sagte Skouboe lächelnd.
Sie schaute ihn an. »Ich muss herausfinden, was ihn antreibt. Schließlich hat er gedroht, zurückzukommen.«
»Ich habe in den Nachrichten gehört, dass die Polizei mehreren Spuren nachgeht. Deine Freundin«, sagte er lächelnd, »wurde auch interviewt. Sie hat gesagt, dass momentan einige verdächtige Personen überprüft werden.«
»Hört sich gut an.«
Skouboe nickte dem Beamten in Zivil zu, der ein Stück entfernt saß und Zeitung las. »Du bist trotz allem in guten Händen.«
Maja nickte. »Ja, aber ich fühle mich, als hätte ich einen Schatten bekommen. So sind sich übrigens Peter Pan und Wendy das erste Mal begegnet. Er hatte seinen Schatten verloren, und sie hat ihn wieder angenäht.«
Skouboe nahm ihr das Buch aus dem Schoß und blätterte darin. »Ich glaube, ich kann mich nicht mal mehr an die Handlung erinnern. Geht die gut aus?«
»Sowohl als auch. Die Kinder und Peter Pan werden zwar mit den Piraten und Käpt’n Hook fertig, aber danach verlassen die Kinder Pan und Nimmerland. Erst viele Jahre später kehrt Pan in die wirkliche Welt zurück, und zwar nicht wegen Wendy, die inzwischen erwachsen geworden ist, sondern wegen ihrer Tochter.«
»Du kennst also schon das Ende?«
Maja nickte. »Ich gehöre zu denen, die schon mal heimlich zum Ende vorblättern.«
»Wer will die Kinder auch schon mit psychologischen Studien belästigen?«
Ihr Bein war eingeschlafen, sie nahm es vom Stuhl herunter.
»Es wundert mich, dass er sich dich ausgesucht hat. Ich dachte, er wäre pädophil und ausschließlich an Kindern interessiert.«
Maja nickte. »Ja, aber ich glaube, er betrachtet die ganze Welt aus seiner Peter-Pan-Perspektive.«
»Erschreckend«, entgegnete Skouboe und schüttelte den Kopf. »Wie hat er sich benommen. Hat er unzusammenhängend gesprochen? Desorientiert gewirkt? Entschuldige, dass ich frage …« Er gab ihr das Buch zurück.
»Schon in Ordnung. Nein, er wirkte sehr besonnen. Es war eher, als würde er bewusst eine Fantasie durchspielen.«
»Das macht die Sache fast noch unheimlicher«, stellte Skouboe fest.
Maja nickte. »Er hat uns verschiedene Rollen zugeteilt. Er war natürlich Peter Pan. Ich war Wendy, das Mädchen, das auf die verlorenen Jungen aufpassen wollte.«
»Wer sind die verlorenen Jungen?«
»Dem Buch zufolge sind das Kinder, die aus ihrem Kinderwagen gefallen sind und von niemandem vermisst werden. Peter Pan nimmt sie mit nach Nimmerland, wo er ihr Anführer ist.«
»So sieht er also seine Opfer?«
»So scheint er zumindest seine Taten zu rechtfertigen. Er bezeichnet die Polizei als Indianer. Außerdem habe ich den Verdacht, dass er die Polizeirätin als Tigerlilly sieht, die Anführerin der Indianer in Nimmerland.«
Skouboe tätschelte liebevoll ihre Schulter. »Sie wird ihn sicher bald kriegen. Sag Bescheid, wenn ich irgendwas für dich tun kann.«
»Danke.«
»Wollen wir wieder an die Arbeit?«
Maja klappte das Buch zu und stand auf. Der Beamte folgte ihnen die Treppe hinunter. Jetzt würde er den ganzen Nachmittag im stickigen Wartezimmer sitzen und Wache halten. Sie beneidete ihn nicht.
Als sie in ihr Behandlungszimmer kam, klingelte das Telefon. Es war Tom Schæfer, der im Auftrag von Katrine Bergman anrief. Sie wollte, dass Maja sofort aufs Polizeirevier kam.
»Ich weiß nicht, ob das gleich möglich ist«, entgegnete Maja. »Worum geht es denn?«
»Wir haben einen Verdächtigen festgenommen, den wir Ihnen gegenüberstellen möchten. Das geschieht natürlich anonym«, fügte er rasch hinzu. »Schaffen Sie das?«
»Aber natürlich«, antwortete Maja.
17
Die Polizisten, die hinter Maja herfuhren, hatten Mühe, ihr zu folgen. Maja vergewisserte sich im Rückspiegel, dass sie noch da waren. Sie konnte es kaum erwarten, dem Festgenommenen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Abgesehen von ihrer dürftigen Personenbeschreibung konnte sie sich kaum an Einzelheiten erinnern. Aber sie war überzeugt, ihn nie zuvor
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