Die Geisel
beschäftigt, um den Schmerz wahrzunehmen. Nach ein paar Stunden hatte er sämtliche Platten entfernt und den getrockneten Kleber von den Wänden geschabt. Mit einem Brecheisen schlug er das Bett entzwei. In dem engen Raum zu arbeiten war nicht einfach. Doch nachdem er die eine Seite erst mal zertrümmert hatte, ging die andere wie von selbst. Er trug die verrotteten Holzreste in den Salon und kehrte mit einem Maßband zurück. Er maß sorgfältig die Größe der Kajüte, um die Styroporplatten richtig zuschneiden zu können. Zwischen den Platten durften keine großen Ritzen entstehen, das würde ihm die Arbeit erleichtern, wenn er sich hinterher um die Schallisolierung kümmerte.
Er warf einen besorgten Blick in das separate Bad. Das war ein Luxus, den er nicht anbieten wollte. Die Schallisolierung würde zu kompliziert sein, also musste er das Bad einfach abreißen. Wasserhahn und Trockenklosett konnte er in der Ecke der Kajüte belassen. Blieb das Problem mit der Kajütentür. Auch wenn er eine achtzig Zentimeter breite Styroporplatte daran befestigte, würde man sie leicht von innen eintreten können. Zwar konnte er sie auch von außen verstärken, wollte aber keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Das Boot sollte einen verlassenen Eindruck machen. So wie dies jahrelang der Fall gewesen war, ohne dass irgendjemand an Bord gegangen wäre. Gerade das machte das Boot so geeignet für seinen Zweck.
Nachdem er die Platten zugeschnitten hatte, war er völlig erschöpft. Er legte sich in dem kahlen Raum auf den Boden und schloss die Augen. Der Schlaf übermannte ihn auf der Stelle. Er hatte das Gefühl, das Boot spräche zu ihm. Lache ihn aus, so wie damals in den endlosen Nächten, in denen kein Freund in der Nähe gewesen war. Im Traum spürte er den Schmerz. Spürte, wie er festgehalten wurde. Spürte die schweren haarigen Körper, die ihn tief in die Matratze hineindrückten. Nacht für Nacht für Nacht.
Nach ein paar Stunden wachte er auf. Der Schlaf hatte ihm keine Ruhe gebracht, und so machte er sich sofort an die Arbeit.
Das Anbringen der Platten und Abdichten der Zwischenräume nahm den Großteil des Tages in Anspruch. Er hatte sich nicht nur für die Achtzig-Zentimeter-Platten entschieden, weil sie den Schall isolierten, sondern auch, weil sie in der Lage waren, Schläge gegen die Kajütenwand zu absorbieren. Selbst wenn sich jemand in unmittelbarer Nähe des Bootes befand, würden nicht die geringsten Geräusche aus dem Inneren der Kajüte an sein Ohr dringen. Er lächelte bei diesem Gedanken.
Als er mit der Schallisolierung des Raumes fertig war, begann er mit dem Belüftungssystem.
Das Problem bestand darin, dem Raum genügend Sauerstoff zuzuführen, ohne der eingesperrten Person zu ermöglichen, durch den Luftkanal mit der Umwelt zu kommunizieren. Er hatte die Möglichkeit verworfen, mit einem Generator Luft in den Raum zu pumpen. Auch der würde zu laute Geräusche erzeugen.
Stattdessen benutzte er dafür die schallisolierten Abluftrohre des Boots. Er setzte deren Mündung direkt auf das Loch, das er in den Kajütenboden gebohrt hatte, und montierte den Schalldämpfer unmittelbar unter das Gitter, wo es jedes Geräusch aus dem Raum dämpfen würde. In diesem Ausgangsrohr brachte er einen Motorraumlüfter mit einer Leistung von 3,65 Kubikmeter pro Minute an, der an die Zwölf-Volt-Batterie des Bootes angeschlossen war und nahezu lief.
Als er fertig war, betrachtete er mit Stolz seine weiße Zelle. Die weißen Styroporplatten machten den Raum kleiner als geplant, doch war er vollkommen funktionstüchtig. Auch das Problem mit der Tür hatte er gelöst. Statt sie verbarrikadieren zu müssen, hatte er den Bewegungsspielraum der eingesperrten Person eingeengt. In die hintere Wand hatte er einen Zehn-Zentimeter-Bolzen geschlagen, an dem eine Spectraleine befestigt war. Die Leine war nur zwölf Millimeter dick, hatte aber eine Reißfestigkeit von über acht Tonnen. Außerdem war die Oberfläche so beschaffen, dass sie jede Belastung aushielt und nicht durchgescheuert werden konnte. Die Leine würde der eingesperrten Person als Schlinge um den Hals liegen. Auf diese Weise würde sie sich ein wenig durch den Raum bewegen können, ohne jedoch zur Tür zu gelangen. Sie würde, mit anderen Worten, nur Millimeter von der Freiheit entfernt sein, ohne sie zu erreichen. Er atmete tief durch und lächelte vor sich hin. Die harte körperliche Arbeit hatte ihn ermüdet, aber auf eine behagliche Weise. Die Arbeit an
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