Die Geisel
setzen?« Er zeigte auf die grüne Bank.
Sie nickte, worauf sie beide zur Bank gingen und Platz nahmen. »Die Gerichtspsychiatrie hat mich darum gebeten, Søren Rohde auf seinen Geisteszustand hin zu untersuchen beziehungsweise diese Untersuchung zu leiten. Im Augenblick sind wir zu viert.«
»Ist das wirklich notwendig?«, fragte Maja mit nervösem Lächeln. »Es muss doch jedem klar sein, dass er komplett geisteskrank ist.«
Claus erwiderte ihr Lächeln. »Wie geht es dir? Jetzt, wo du hier bist? Bist du nervös?«
»Ich habe riesige Angst. Aber ich bin froh, dass so viele Leute hier sind.«
Claus nickte und beugte sich ihr entgegen. »Wird schon gut gehen. Hoffentlich hält er Wort und erzählt dir, wo er Timmie versteckt hat.«
Maja nickte bedrückt. »Und euch wollte er es nicht verraten?«
»Søren hält nicht viel von Psychiatern, um es vorsichtig auszudrücken.«
»Aha«, sagte sie. »Und du glaubst wirklich, dass Timmie noch lebt?«
»Das wäre vielleicht etwas zu optimistisch«, antwortete Claus seufzend.
Sie schaute sich um. Alle wirkten angespannt. Niemand sagte etwas, alle blickten stumm zu der angelehnten Tür. Ihre Anwesenheit verriet Maja, dass Katrine niemals daran gezweifelt hatte, sie zu einem Treffen mit Søren überreden zu können.
Sie wandte den Blick zur Tür.
Jetzt konnte sie nur noch warten, dass sie das Monster zu ihr führten.
35
Der Wächter, der Maja und Katrine zum Gefängnishof geführt hatte, kam zur Tür herein. Er trug weiße Latexhandschuhe. Hinter ihm erschien ein zweiter Wächter. Die beiden ähnelten einander so sehr, dass man sie für Zwillinge halten konnte. Sie postierten sich zu beiden Seiten der Tür. Zwei weitere Wächter wurden in der Türöffnung sichtbar. In ihrer Mitte war Søren. Sein Kopf hing ihm schwer auf der Brust, die langen blonden Haare verbargen sein Gesicht. Seine Arme steckten in einem Gurt, den er um den Leib trug. Seine Fußfesseln erlaubten ihm nur sehr kleine Schritte. Die beiden Beamten schoben ihn vorsichtig durch die Türöffnung, worauf die anderen beiden übernahmen und ihn an den Armen packten. Zu keinem Zeitpunkt ließ man ihn los. Die Beamten führten ihn Maja entgegen, bis er ungefähr drei Meter von der Bank entfernt stand. Das war der vorgeschriebene Sicherheitsabstand zwischen Gefangenen der Stufe Rot und ihren Besuchern. Katrine nickte den Beamten zu. Sie lösten ihren Griff um Sørens Arme, blieben aber auf Tuchfühlung neben ihm stehen.
Auf dem Hof war es völlig still. Maja spürte ihr Herz in der Brust hämmern. Unwillkürlich griff sie nach Claus’ Hand.
Langsam hob Søren den Kopf, und zwischen seinen blonden Locken tauchte sein Gesicht auf. Er sah aus, als hätte man ihn zusammengeschlagen. Maja bemerkte, dass die Schrammen frisch aussahen und nicht von seiner Verhaftung stammen konnten. Entweder musste er sich die Verletzungen selbst zugefügt haben, oder jemand anders hatte ihn in jüngster Zeit in die Mangel genommen. Sein Blick war getrübt von Medikamenten. Sicher hatten sie ihn mit antipsychotischen Präparaten vollgestopft, um auch seinen Geist festzuzurren.
Als Søren sie erblickte, zeichnete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht ab, und er entblößte seine weißen Zähne. Ein Schneidezahn fehlte. »Wendy, du bist … gekommen«, sagte er umnebelt.
Sie bekam kaum Luft. Es war dasselbe psychopathische Lächeln, das sie im Licht des heranbrausenden Zugs gesehen hatte. Mit einem Mal hatte sie wieder das Gefühl, auf der Bahnstation zu stehen. Ihre Finger krampften sich um Claus’ Hand.
Søren schaute sich um und begann, mit den Zähnen zu knirschen. »Was macht ihr alle hier? Das haben wir nicht verabredet.«
»Doch, das haben wir«, sagte Katrine. »Du wolltest uns erzählen, wo sich Timmie befindet, wenn du Maja siehst. Und das ist jetzt der Fall.«
Søren schüttelte den Kopf. »Ein Hofspaziergang mit Wendy. Das hat man mir versprochen. Einen Hofspaziergang mit Wendy.«
»Wir sind jetzt im Hof und …«, Katrine blickte zu Maja »… und Wendy sitzt da drüben. Red endlich! Wo ist Timmie?«
Søren schüttelte abermals den Kopf, während er zu Boden blickte. »Hofspaziergang mit Wendy, Hofspaziergang mit Wendy, Hofspaziergang mit Wendy«, leierte er.
Claus stand von der Bank auf und lächelte verständnisvoll. »Aber, Søren, sie ist doch da. Sie haben genau das bekommen, was Sie wollten. Wir haben getan, was Sie verlangt haben. Sie möchte sehr gerne hören, was Sie ihr zu sagen haben.
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