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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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hatte das Gefühl, dies wäre der wahre Grund, warum Søren sie auf dem Gefängnishof hatte treffen wollen. Nicht, um den Geräuschen des Tivoli zuzuhören, wie er Claus’ weisgemacht hatte.
    »Also … Wo ist Timmie?«, fragte Maja.
    Søren schaute sie bekümmert an und atmete tief durch. »Bevor ich es dir erzähle … musst du eines verstehen.«
    »Und was ist das?«, fragte Maja und zwinkerte nervös.
    »Ich …« Er wandte den Kopf ab. »Das, was sie schreiben … dass ich etwas mit den Jungen gemacht haben soll … Das stimmt nicht. Ich habe sie niemals angerührt. Nicht so …«
    Sie spürte, wie ihre Wut auf ihn wuchs. Sie hatte die Obduktionsberichte gelesen. Sie wusste alles über die rektalen Schäden, die er den Jungen zugefügt hatte. Schäden, die nur von brutalen sexuellen Übergriffen stammen konnten. Sie waren einem unfassbaren Sadismus ausgesetzt gewesen. Und jetzt versuchte er, sich aus allem herauszureden. Das war unerträglich. Doch sie musste ihre Verachtung verbergen. »Okay«, sagte sie. »Wo ist Timmie?«
    Søren schüttelte wehmütig den Kopf. »Ich sehe, dass du mir nicht glaubst.«
    »Ist es nicht gleichgültig, was ich glaube? Sag mir doch einfach, wo Timmie ist.«
    »Nein, das ist nicht gleichgültig. Wenn du den Zusammenhang nicht verstehst … Wie kannst du ihn dann beschützen?«
    Maja verschränkte die Arme vor der Brust. »Gut, dann erzähl.«
    Søren nickte und befeuchtete die Lippen. »Als ich dich das erste Mal im Morgendunst auf der Wiese gesehen habe, da wusste ich … dass es wieder Hoffnung für die verlorenen Jungen gibt. Sie haben dich gerufen … Und du bist gekommen … Da wusste ich, dass ich mich nicht mehr länger um sie kümmern muss, denn du kannst sie besser beschützen als ich … Du musst verstehen, dass ich alles nur getan habe, um sie zu beschützen … Verstehst du das?«
    Er schaute sie eindringlich an. Sie spürte, dass ihre Antwort entscheidend für den Verlauf ihres weiteren Gesprächs sein würde. »Nein«, antwortete sie ehrlich. »Das tue ich nicht. Ich verstehe nicht, wie man unschuldige Kinder töten kann.«
    »Auch nicht, wenn man sie dadurch vor einem Schicksal bewahrt, das schlimmer ist als der Tod?«
    »Nein. Es gibt niemanden, der das Recht hat, andere zu töten.«
    Søren nickte nachdenklich. »Du hast die Schrecken noch nicht gesehen … Deshalb kannst du es nicht verstehen. Jedenfalls bist du ehrlich. Aber diese Form der Ehrlichkeit beschützt weder dich noch Timmie.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst, aber ich verspreche, dass ich gut auf Timmie aufpassen werde … Wenn du mir nur sagst, wo er ist.«
    »Ich spreche von einer Bosheit … die finsterer als der finsterste Punkt der Hölle ist. Von Kräften, die viel stärker sind als du und ich. Genau deshalb müssen wir vorsichtig sein.« Er schaute zur Überwachungskamera an der Mauer. »Sie sind überall, Maja, in allen Schichten der Gesellschaft. Sie folgen jeder Bewegung. Sie können es gar nicht abwarten, den kleinen Timmie in die Finger zu kriegen.« Er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern. »Timmie weiß, wer sie sind.«
    Maja atmete stoßweise und blickte zu Boden. »Wer?«
    »Die bösesten Menschen der Welt. Sie sind in einem Netzwerk vereint. Sie locken die Jungen zu sich und entführen sie. Sie teilen sie unter sich auf, als wären sie eine Kriegsbeute. Tun unbeschreibliche Dinge. Paaren sich mit ihnen, zwingen die Jungen, sich miteinander zu paaren, experimentieren mit ihren Körperöffnungen.« Seine Augen leuchteten, er atmete heftig.
    »Stopp!«, sagte Maja. »Ich will davon nichts mehr hören.«
    »Aber das musst du.« Er warf sich ihr entgegen, aber die Riemen hielten ihn an seinem Platz. Maja trat erschrocken einen Schritt zurück. »Du musst verstehen, mit welchem Feind wir es zu tun haben. Hook und seine Piraten wollen uns alle töten, damit sie die Jungen für sich allein haben.« Tränen liefen ihm über die Wangen. »Es ist nur eine Frage der Zeit, ehe sie mich töten. Weil ich ihnen nicht sage, wo Timmie ist. Sie haben Angst davor, was Timmie erzählen kann. Darum wollen sie ihn lieber tot sehen.«
    Mit seinen tränenerfüllten Augen sah er sie unglücklich an. Sein Kinn zitterte. Seine blonden engelhaften Locken klebten an der schweißnassen Stirn. Er sah aus wie ein verschrecktes, unglückliches Kind.
    »Hör auf, Søren … Bitte hör auf.« Sie trat vorsichtig auf ihn zu und ging in die Knie. »Ich bin sicher … dass du selbst … schreckliche Dinge erleben

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